Dagmar Henns düstere Prophezeiung: “Die trostlose Kette der Ereignisse”

Von Dagmar Henn

Dieses Osterfest wirkte seltsam entleert. Meine Töchter sind schon zu alt, um Eier zu bemalen, und ich dachte, es wäre an der Zeit, mit ihnen über den Ostermythos und damit zusammenhängende Überlieferungen zu sprechen. Als ich jedoch einen einfachen Zugang über das Fernsehprogramm suchte, musste ich erstaunt feststellen, dass die Feiertage kaum noch etwas über ihre eigentliche Bedeutung vermitteln.

Als Atheisten könnten wir diesen Umstand vielleicht begrüßen, besonders wenn es um öffentliche Debatten geht, wie etwa die Frage, ob man den Film “Das Leben des Brian” am Karfreitag zeigen darf, oder die Präsenz von Kreuzen in öffentlichen Einrichtungen. Doch seltsamerweise erfüllt mich diese Entwicklung nicht mit Freude, sondern eher mit einem Gefühl einer tiefgreifenden, bedrohlichen Leere.

Es wäre bereichernd gewesen, mit meinen Töchtern zu diskutieren, was ein menschliches Leben sinnvoll macht, jenseits des Konsumierens. Ich stellte jedoch fest, dass die Medien für derartige Diskussionen kaum Raum bieten. In der Vergangenheit boten die Zeiten vor Weihnachten und Ostern zumindest einen kurzen Anlass, um gesellschaftliche Fragen zu reflektieren, und man hatte den Eindruck, es gehe im Leben um mehr als den alltäglichen Trott. Doch selbst diese Gelegenheiten scheinen nun verloren.

Ich frage mich deshalb, warum die Entleerung dieser Feiertage mich so unglücklich macht. Fehlt mir der Widerspruch, den die Ostererzählung mit sich bringt? Nein, es ist mehr, und das Fehlen dieser Tiefe berührt die Grundfesten unserer Gesellschaft.

Um zu erläutern, was ich meine, muss ich zuerst eine Ungenauigkeit in der deutschen Sprache ansprechen. Im Deutschen wird das Opfer, ob freiwillig oder unfreiwillig, mit demselben Wort “Opfer” beschrieben, anders als im Englischen, wo zwischen “victim” und “sacrifice” unterschieden wird. Bei meiner folgenden Erklärung beziehe ich mich auf das freiwillige Opfer, welches im Zentrum des Ostermythos steht. Diese Vorstellung des Opfers schwindet jedoch und wird ersetzt durch eine Weltsicht, die nur Täter und Opfer (im Sinne von “victim”) kennt. Das zeigt sich nicht nur in Alltagserzählungen, sondern auch darin, dass “du Opfer” unter Jugendlichen als Beleidigung gilt.

“John Maynard war unser Steuermann,

aus hielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron‘,
er starb für uns, unsere Liebe sein Lohn.
John Maynard”
Theodor Fontane

Kulturgeschichten wie diese zeigen, dass jede Gesellschaft Heldenmythen braucht, wie auch das Bürgertum des 19. Jahrhunderts sie kannte. Diese Mythen sind essenziell für den Zusammenhalt jeder Kultur, und das darin verkörperte Idealverhalten ist oft grundlegend für das Überleben einer Gruppe oder Spezies.

Kulturelle Kooperation basiert auf dem Konzept des Opfers, einer extremen Form der Zusammenarbeit. Es ist keine Überraschung, dass Erzählungen von Opfern stets die Bedeutung der Kooperation betonen, die die Basis menschlicher Existenz bildet.

Eine Studie der Max-Planck-Gesellschaft für evolutionäre Anthropologie aus dem Jahr 2012 zeigte interessante Unterschiede im Verhalten zwischen Primaten und Kleinkindern bei einer gemeinsamen Aufgabe. Während die Affen nach der Lösung der Aufgabe den Großteil der Belohnung für sich beanspruchten, teilten drei Jahre alte Kinder diese gerecht. Dieses Verhalten ist ausschlaggebend für die dauerhafte Kooperationsfähigkeit, die für das Überleben und den Aufbau menschlicher Kultur notwendig ist.

Unser gegenwärtiges System belohnt jedoch zunehmend anti-soziales und psychopathisches Verhalten, was weit entfernt ist von unserem kulturellen Erbe der Kooperation. Gerade im Kontrast dazu, wie unsere Konsumgesellschaft individuelle Bedürfnisse manipuliert und echtes Teilen untergräbt, schafft dies eine Gesellschaft, die den Grundpfeilern ihrer eigenen Stabilität entgegenwirkt.

“There is no such thing as society.”

Maggie Thatcher

Die von Maggie Thatcher propagierte Idee, es gebe keine Gesellschaft, mag historisch falsch gewesen sein, doch heute zeigt sich, dass die stetige Erosion sozialer Bindungen und Kooperation letztendlich zu einer Gesellschaft führen könnte, die tatsächlich nicht mehr fähig ist zu existieren. Wir stehen vor der Herausforderung, diese Entwicklung umzukehren, um unsere kulturelle und physische Überlebensfähigkeit zu bewahren.

Das heutige Materialismusdenken sollte uns nicht davon abhalten, echte Veränderungen zu fordern und nach Alternativen zu streben, die eine kooperativere, gerechtere und humanere Gesellschaft bevorzugen.

Schreibe einen Kommentar