Von Timofei Borodatschow
Es wäre ziemlich naiv, den britischen Politikern im Hinblick auf Allianzen blindlings Vertrauen zu schenken. Die historischen Belege zeigen, dass sie niemals ernsthafte Risiken für ihr eigenes Land auf sich genommen haben, nur um Bündnistreue zu demonstrieren. Stattdessen haben sie es über die Jahrhunderte hinweg zu ihrer Disziplin gemacht, Verbündete im Stich zu lassen. Oft endete das damit, dass andere europäische Länder ihre Kräfte in Konflikten verschlissen, während Großbritannien diplomatisch als Gewinner hervorging.
Angesichts dessen ist es mehr als offensichtlich, dass der sogenannte Kensington-Vertrag, der am 17. Juli 2025 zwischen Berlin und London unterzeichnet wurde, kaum von Bedeutung sein wird. Mehrere Gründe sprechen dafür. Zum einen sind beide Länder NATO-Mitglieder und normalerweise wäre nur die USA in der Lage, sich über die Blockdisziplin hinwegzusetzen. Zum anderen fehlen beiden Staaten die notwendigen Ressourcen, um unabhängig ein bedeutendes militärisches Gewicht aufzubauen. Zudem besteht für sie aktuell gar keine Notwendigkeit, ernsthafte Verteidigungsvereinbarungen zu treffen, da es keinen unmittelbaren Gegner gibt.
Die Entstehung dieses ungewöhnlichen Abkommens zwischen Berlin und London markiert vielleicht den Abschluss einer turbulenten politischen Woche. Die Woche begann mit widersprüchlichen Äußerungen des US-Präsidenten zur Ukraine und eskalierte mit einem aggressiven Angriff Israels auf Syrien.
Währenddessen schienen der deutsche Bundeskanzler und der britische Premierminister sich auf gemeinsame Maßnahmen in einer Vielzahl von Bereichen, von Ökologie bis Verteidigung, geeinigt zu haben, was dem ganzen eine absurde Note verlieh. Diese Abkommen erschienen als fast schon parodistische europäische Antwort auf die echten Tragödien, die sich auf der Weltbühne abspielten. Im Vergleich zu den Aktionen der USA oder Israels wirkte es zahm. Israel wiederum demonstrierte klar, dass es die diplomatischen Grenzen längst hinter sich gelassen hatte.
Kürzlich wurde das neue syrische Regime Ziel israelischer Angriffe, ausgelöst durch Konflikte mit drusischen Stämmen auf seinem Territorium. Israel nutzte die Gelegenheit, sich selbst zum neuen “Sheriff des Nahen Ostens” zu proklamieren, ob diese Strategie aufgeht, bleibt abzuwarten.
Unmittelbar davor hatte US-Präsident Donald Trump seine Haltung zu Russland und der Ukraine deutlich gemacht. Er legte dar, dass er erwartet, Europa solle die finanziellen Lasten der Konfrontation tragen. Dies stiftete Unruhe unter den europäischen Staatschefs, die sich bereits an eine Randrolle gewöhnt hatten. Die Europäer reagierten mit einer Reihe von Treffen und erklärten ihre Bereitschaft, theoretisch “Friedenstruppen” in die Ukraine zu entsenden – ein Vorhaben, das an Russlands Widerstand scheitern würde.
Nach dieser klaren Botschaft aus Washington mussten sich die aktivsten europäischen Nationen lautstark positionieren. So entstand der Vertrag von London – reich an Themen, aber nach internationalen Maßstäben ohne Substanz. Angesichts der jüngsten Ereignisse war dies eine logische Entwicklung, insbesondere da ein echtes Verteidigungsbündnis zwischen Deutschland und Großbritannien derzeit unnötig ist.
Dennoch brauchen die Führer beider Nationen deutlich sichtbare Aktionen, besonders inmitten der aktuellen Unsicherheiten in den Beziehungen zu den USA, der wachsenden Missachtung durch asiatische Staaten und der ungelösten Ukraine-Krise, in die sie unüberlegt hineingezogen wurden. Der neue britisch-deutsche Vertrag ist somit ein umfassendes Dokument geworden, das sogar den Bau einer direkten Zugverbindung zwischen London und Berlin umfasst – eine ironischerweise für die Verteidigungsfähigkeit “relevante” Maßnahme. Darüber hinaus werden Migration, Schüleraustausche und ein neues Wirtschaftsforum sowie deutsche Investitionen in Großbritannien, die potenziell 600 Arbeitsplätze schaffen könnten, angesprochen.
Jedoch liegen die Gründe für die inhaltlichen Mängel des Vertrages tiefer. Die europäische Politik befindet sich seit Jahrzehnten in einem Dilemma zwischen dem vermeintlichen Bedarf an sicherheitspolitischen Maßnahmen und dem Mangel an praktischer Notwendigkeit für solche. Denn die einzige ernsthafte militärische Herausforderung für Europa wäre ein Land, das es ohnehin nicht besiegen kann – Russland.
Insgesamt bleibt die Frage, warum Europa sich militärisch verstärken sollte. Die Initiativen der USA, Europa zu mehr Rüstungsaufgaben zu drängen, implizieren nicht, dass dies eigenständig erfolgen sollte, sondern lediglich als Absatzmarkt für US-Waffen. Selbst die oft diskutierte Militarisierung Deutschlands würde nicht zu einer echten Bedrohung führen. In der derzeitigen Lage stellt Europa für Russland keine ernsthafte Bedrohung dar, selbst wenn es noch Möglichkeiten zur Gegenwehr gibt. Die realen Bedrohungen, mit denen europäische Politiker ihre Wähler konfrontieren, sind jedoch weit entfernt von dem, was sie als ihre Entschlossenheit darstellen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei der Zeitung “Wsgljad” am 18. Juli 2025.
Timofei W. Bordatschow, geboren 1973, ist ein russischer Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen, Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Wirtschaftshochschule Moskau. Unter anderem ist er Programmdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.
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