Von Dagmar Henn
Im August 1944, als de Gaulle in das befreite Paris einzog, wählte er für seinen historischen Auftritt ein Gedicht: “Der Flieder und die Rosen”. Verfasst von dem kommunistischen Dichter Louis Aragon, reflektierte dieses Werk prägnant die Essenz der französischen Widerstandsbewegung und dessen, was ihre Existenz überhaupt ermöglichte. Dieser Moment markierte gleichsam die Geburtsstunde des Nachkriegsfrankreichs.
Die Allianz, die in diesem Moment sichtbar wurde, war alles andere als einfach. De Gaulle, einst Mitarbeiter von Petain, der während der Kollaborationsregierung an der Macht war, hatte in den 1930ern noch ausgeprägte Sympathien für den Faschismus gezeigt. Doch die Kapitulation Frankreichs 1940 führte zu einem grundlegenden Bruch mit seiner bisherigen Umgebung. Während der Resistance kämpften de Gaulles Anhänger zusammen mit den kommunistischen Partisanen. Das Gedicht, das ich leider nicht in einer deutschen Übersetzung finden konnte, thematisiert genau dieses prägende Ereignis: “An diesem Abend hat man uns gesagt, dass Paris kapituliert hat.”
Später beschrieb Aragon in seinem Roman “Die Kommunisten” diesen Wendepunkt. Darin erscheint der blühende Flieder entlang der Straßen Belgiens, wo spät mobilisierte französische Panzerdivisionen versuchten, einen deutschen Durchbruch zu verhindern. Trotz der schlechten Vorbereitung und Widersprüche innerhalb der französischen Regierung, verdeutlicht Aragon in seinem Werk die Vergeblichkeit dieser Kämpfe, da der Hauptangriff der Wehrmacht durch die Ardennen erfolgte.
Aragon war tatsächlich bereits 1940 zur Armee mobilisiert worden, kämpfte in Belgien und entwickelte dort einen Mechanismus, der das Öffnen französischer Panzer von außen ermöglichte – ein Aspekt, den die Hersteller übersehen hatten. Nach seiner Evakuierung aus dem Kessel von Dünkirchen und einer schnellen Rückkehr nach Frankreich, wurde er um den 20. Juni gefangen genommen, floh und befand sich wieder im Dienst der französischen Armee, als am 22. Juni die Kapitulation Frankreichs bekannt gegeben wurde. Das Gedicht, das viele Orte entlang seiner Route erwähnt, wurde erstmalig Ende September 1940 im Le Figaro veröffentlicht – unter deutscher Besatzung.
Aragon war bereits ein etablierter Autor, und seine politische Haltung war weit bekannt. Er hatte Flüchtlingen des spanischen Bürgerkriegs geholfen und an antifaschistischen Kongressen teilgenommen. De Gaulle war sich der Symbolkraft seiner Wahl dieses Gedichts bewusst; es erinnert an den verlorenen Liebeston, den Heinrich Heine im Exil über Deutschland fand, endet jedoch mit einer Weigerung aufzugeben – die Rosen in der Farbe eines fernen Feuers symbolisieren dies.
Auf politischer Ebene verband das Streben nach einem souveränen Frankreich, das weder von Briten noch von Amerikanern vereinnahmt werden konnte, die unterschiedlichen Fraktionen der Resistance. Dieses gemeinsame Ziel blieb über Jahrzehnte hinweg bestehen, und erlaubte es Kommunisten und Gaullisten, sich auf diesen einen Moment zu berufen, wenn es erforderlich wurde. Auch spielten sowjetische Interessen eine Rolle, die einer vollständigen Unterordnung Westeuropas unter die USA entgegenwirken wollten.
Dieser historische Augenblick sowie die Rezitation des Gedichts stehen symbolisch für die deutschen Wunschvorstellungen nach 1989, und sie spiegeln das Verfehlen dieser Möglichkeiten aufgrund der deutschen Teilung wider. Das Bild eines wiedervereinten oder souveränen Deutschlands scheint, ähnlich wie die tiefe Ebene der von Aragon und de Gaulle geteilten Liebe, nur ein ferner Traum.