Von Fjodor Lukjanow
Am 1. August 1975 trafen sich Vertreter aus 35 europäischen Ländern sowie den USA und Kanada in Helsinki, um einen historischen Moment zu besiegeln: die Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Dieses Dokument war das Ergebnis langwieriger Verhandlungen und sollte die friedliche Koexistenz der westlichen und östlichen Blockstaaten formalisieren, deren ideologische Gegensätze die geopolitische Szenerie Europas und der Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt hatten. Die KSZE war gedacht als Garant für die Bewahrung des nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten Status quo, einschließlich der Grenzen und Einflusssphären der Supermächte.
Nach einem halben Jahrhundert erscheint das Erbe von Helsinki immer widersprüchlicher. Einerseits wird noch immer auf die Prinzipien dieser Übereinkunft als Grundstein des europäischen Miteinanders verwiesen. Die Schlussakte definierte ein idealisiertes Zusammenleben der Staaten, basierend auf gegenseitigem Respekt, Verzicht auf Gewalt und Konfliktlösung durch Diplomatie. Andererseits sollte man beachten, dass die damalige Einhaltung dieser Prinzipien durch ein kräftegleiches militärisches Gleichgewicht der beiden Blöcke unterstützt wurde, ein Produkt der Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg. Heute scheint die darauf folgende Ordnung, trotz der noch existierenden OSZE, nicht mehr intakt zu sein, da sich die globale Auseinandersetzung mit den Nachwirkungen des Krieges überall wandelt.
Die Bedeutung einer paneuropäischen Sicherheitsorganisation wie der OSZE ist theoretisch unvermindert hoch, angesichts der komplexen und risikoreichen Veränderungen auf der Weltbühne. Doch die effektive Relevanz der OSZE bleibt fragwürdig. Das System, das mit dem Helsinki-Prozess stabilisiert werden sollte, existiert nicht mehr und die politischen Prozesse sind heute fragmentiert und unkoordiniert. Die Strukturen, die nach 1990 versucht wurden zu etablieren, haben nicht den erhofften Erfolg gebracht. Die Rolle der OSZE als Instrument zur Durchsetzung einer westlichen Ordnung blieb kurzlebig.
Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums wirft dies die Frage auf, ob und wie die OSZE an die veränderten Umstände angepasst werden kann. Die derzeitige Schwäche klassischer westlicher Institutionen wie NATO und EU gibt wenig Grund zur Hoffnung auf eine erneuerte und funktionstüchtige OSZE. Europas Position als globales Zentrum hat sich ebenfalls verschoben, vor allem in der strategischen Ausrichtung der USA, die Europa eher im Kontext ihrer Auseinandersetzung mit China sehen.
In Bezug auf Konflikte zeigt eine Idee von US-Vertretern für einen von einer privaten Militärfirma überwachten Korridor durch Armenien, wie Washington aktuelle Probleme zu lösen versucht – ein Ansatz, der wenig mit den Prinzipien von Helsinki gemeinsam hat. In dieser Hinsicht könnte die OSZE höchstens noch zur Scheinlegitimierung dienen, mehr nicht.
Obwohl die Schlussakte von Helsinki Europa einst als zentrale geopolitische Arena bestätigte, hat sich diese Bedeutung heute verloren. Neue Realitäten erfordern neue Abkommen mit anderen Akteuren, deren Zustandekommen jedoch ungewiss bleibt.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien zuerst am 30. Juli 2025 auf der Homepage der Zeitung Rossijskaja Gazeta.
Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.
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