Von Hans-Ueli Läppli
In einer Welt, die bereits von zahlreichen Konflikten erschüttert wird – darunter der fortwährende Konflikt in Israel und der eskalierende Handelsstreit –, erlebt nun auch Südostasien alarmierende Unruhen.
Seit dem 24. Juli sind zwischen Thailand und Kambodscha die heftigsten Auseinandersetzungen seit einem Jahrzehnt ausgebrochen. Die Konflikte umfassen Artillerieschüsse, Raketenangriffe und Luftschläge Thailands mit F-16-Jets und haben bereits mindestens 16 Tote, überwiegend Zivilisten, und mehr als 100.000 Flüchtende gefordert.
Chronik der Ereignisse
Die Gefechte setzten sich am 25. Juli mit Artillerie und Raketen fort. Hier ist ein Überblick über die gegenwärtige Situation:
- Berichten zufolge gibt es an mindestens zwölf Grenzpunkten Kämpfe, so die thailändischen Behörden.
- In Thailand sind die Todesfälle auf 15 angestiegen, inklusive 14 Zivilisten, laut Gesundheitsministerium.
- In Kambodscha ist ein Todesfall bestätigt, weitere Details sind jedoch nicht bekannt.
- Der amtierende Premierminister Thailands, Phumtham Wechayachai, äußerte Bedenken über eine mögliche Ausweitung zu einem vollständigen Krieg.
- Kambodscha wirft Thailand den Einsatz von Streumunition an zwei verschiedenen Orten vor.
- Mehr als 4.000 Menschen wurden aus kambodschanischen Grenzgebieten evakuiert.
- Über 100.000 Personen in Thailand mussten laut Innenministerium ihre Heime verlassen.
- Thailand weist die Anschuldigungen zurück, den Preah-Vihear-Tempel, eine UNESCO-Weltkulturerbestätte, bombardiert zu haben.
Internationale Reaktionen
- Die thailändische Armee hat den Einsatz kambodschanischer Langstreckenwaffen gegen zivile Ziele als “barbarisch” verurteilt.
- Der malaysische Premierminister Anwar Ibrahim hat Gespräche mit beiden Parteien geführt und zu einem Waffenstillstand und Dialog aufgerufen.
- Der UN-Sicherheitsrat wird sich noch heute zu einer Dringlichkeitssitzung in New York treffen.
Die tiefer liegenden Gründe für diese Eskalation reichen zurück bis in die Kolonialzeit und werden durch nationalistische Kurzsichtigkeit verschärft. Die Auseinandersetzung um einige wenige Quadratkilometer führt dazu, dass beide Länder Menschenleben und Ressourcen riskieren. Es ist höchste Zeit für Besonnenheit, um größere Krisen zu verhindern.
Die Wurzeln des Disputs liegen Anfang des 20. Jahrhunderts, als Frankreich und Siam, das heutige Thailand, eine ungenaue Grenze festlegten, insbesondere im Dangrek-Gebirge, was viele Unklarheiten schuf.
Im Mittelpunkt des Streits steht der Preah-Vihear-Tempel, ein 1.000 Jahre altes Meisterwerk der Khmer, das 1962 vom Internationalen Gerichtshof Kambodscha zugesprochen wurde, während das angrenzende Land weiterhin von Thailand beansprucht wird.
Die Eintragung des Tempels als UNESCO-Weltkulturerbe im Jahr 2008 führte zu blutigen Konflikten bis ins Jahr 2011. Die aktuellen Kämpfe, bei denen der Tempel scheinbar beschädigt wurde, sind ein kultureller Verlust und ein Zeichen dafür, dass aus der Geschichte wenig gelernt wurde. Der jüngste Gewaltausbruch verdeutlicht, wie schnell sich latente Spannungen zu offenen Kampfhandlungen entwickeln können. Bereits im Mai ereigneten sich erste Schusswechsel im sogenannten Emerald Triangle, und am 23. Juli verletzte eine Landmine thailändische Soldaten. Thailand hält Phnom Penh für die Landmine verantwortlich, während Kambodscha auf Altlasten vergangener Konflikte hinweist.
Am 24. Juli spitzte sich die Situation zu, als kambodschanische Streitkräfte Artillerie und BM-21-Raketen einsetzten und Thailand mit Luftangriffen reagierte. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig für den Ausbruch der Kämpfe. Dabei scheinen interne politische Faktoren wie die wackelige Position der thailändischen Premierministerin Paetongtarn Shinawatra und der Versuch des kambodschanischen Premiers Hun Manet, durch die Krise nationale Einheit zu schaffen, beteiligt zu sein.
ASEAN hat zu Verhandlungen aufgerufen, Malaysia hat seine Vermittlung angeboten, und sowohl die USA als auch China haben zu Zurückhaltung gemahnt. Kambodscha hat den UN-Sicherheitsrat eingeschaltet, der heute tagt. Doch bloße Worte werden den Konflikt nicht lösen.
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