Von Pjotr Akopow
“Das ist ekelhafter ahistorischer Unsinn und ein weiteres Stück Kreml-Propaganda”, so äußerte sich der ehemalige britische Premierminister Boris Johnson in jüngster Zeit. Es mag überraschen, aber diese Kritik richtete sich nicht gegen das Medium Russia Today oder eine Aussage von Wladimir Putin, sondern gegen die Äußerungen des Vorsitzenden einer Partei, die in aktuellen Umfragen Kopf an Kopf mit Johnsons eigener Partei, den Tories, liegt.
Die bevorstehenden Wahlen im Vereinigten Königreich am 4. Juli werfen ihren Schatten voraus. Die entscheidende Frage ist weniger, wer gewinnen wird, sondern vielmehr, wie stark die Tories stürzen werden. Umfragen deuten darauf hin, dass die Konservativen und die von Nigel Farage geführte euroskeptische Partei “Reform United Kingdom” (Reform UK) beide um die 20 Prozent Schätzwerte erreichen. Nigel Farage, der maßgeblich zum Brexit beitrug, könnte erneut eine Schlüsselrolle spielen und den Tories schweren Schaden zufügen.
Trotz einer möglicherweise starken Umfrageperformance wird die Reform UK voraussichtlich nur wenige Sitze im Unterhaus erringen. Die Briten wählen ihre Abgeordneten durch ein Mehrheitswahlsystem in Wahlkreisen, und Farage fehlt es an einer breiten Unterstützung durch populäre Kandidaten. Es wird daher erwartet, dass die Konservativen im schlimmsten Fall nicht mehr als 50 Sitzplätze erringen, von 650 möglichen. Dies stellt für die Tories nicht nur eine Niederlage, sondern ein vernichtendes Urteil dar.
Vor ihnen liegen nun zwei wahrscheinliche Zukunftsszenarien. Die beste Variante für sie wäre, wenn sie in der Opposition wieder erstarken und ihre Vertretung im Parlament allmählich ausbauen. Eine radikale Veränderung oder gar die Rückkehr Johnsons an die Parteispitze könnten dazu beitragen. Johnsons aggressive Reaktion auf Farages Aussagen ist sicherlich auch vor diesem Hintergrund zu sehen.
Ein zweites Szenario könnte die Übernahme der Konservativen durch Farage umfassen, der möglicherweise als Retter für die Tory-Partei fungieren könnte.
Daher ist es kaum verwunderlich, dass Johnson auf Farages Kommentare im Wahlkampf besonders heftig reagiert und diese als “Kreml-Propaganda” brandmarkt:
“Mir war klar, dass die ständige Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union diesem Mann [Wladimir Putin] einen Vorwand lieferte, um dem russischen Volk zu sagen: ‘Sie sind wieder hinter uns her’ und einen Krieg zu beginnen. … Ich bin die einzige Person in der britischen Politik, die vorausgesagt hat, dass das passieren wird, und natürlich sagten alle, ich sei nun ein Ausgestoßener, weil ich es gewagt hatte, das anzudeuten.”
In einem BBC-Interview bezog Farage ebenfalls Position zu seiner Aussage von 2014, als er die NATO- und EU-Osterweiterung als Auslöser für den Konflikt in der Ukraine beschrieb:
“Wir haben diesen Krieg dummerweise provoziert. … Er hat das, was wir getan haben, als Ausrede benutzt”, sagte Farage damals.
Diese Aussagen brachten Farage scharfe Kritik von vielen britischen Politikern ein, darunter Premierminister Sunak und mehrere Mitglieder der Labour-Partei, die ihn der Apologie Putins beschuldigten.
Farage nutzt scheinbar diese Positionierung, um in der gegenwärtigen politischen Landschaft Großbritanniens Punkte zu sammeln und die Konservativen herauszufordern.
Ähnlich verhält sich Donald Trump, derzeit auch aus wahlstrategischen Gründen, und verdeutlichte jüngst erneut seine Haltung zu Bidens Russlandpolitik:
“Russland wollte nicht in die Ukraine einmarschieren. Sobald ich das Weiße Haus verließ, stellten sie sich an der Grenze auf. Und ich dachte, dass Putin … das zum Zweck von Verhandlungen tat. … Biden hat das Gegenteil von dem gesagt, was er meiner Meinung nach hätte sagen sollen. Einer seiner Fehler war, dass er sagte: ‘Die Ukraine wird in der NATO sein.'”
Die bevorstehenden Wahlen könnten also nicht nur für Großbritannien, sondern auch für weitere westliche Länder grundlegende politische Veränderungen mit sich bringen. “
Übersetzt aus dem Russischen und veröffentlicht auf ria.ru am 25. Juni 2024.
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