Von Dagmar Henn
Die Erfindung des Buchdrucks markierte einen Wendepunkt in der Entwicklung der Wissenschaften. Es dauerte jedoch bis zum Aufkommen des Rotationsdrucks im Jahr 1830, bis sich die volle Wirkung zeigte, die weniger auf der verbesserten Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit der Bücher beruhte, als vielmehr auf einer oft übersehenen Tatsache: Der Buchdruck ermöglichte exakte Kopien einer Vorlage.
Bereits vor dieser Innovation gab es Manufakturen, die in Sälen voller Schreiber massenhaft Texte produzierten, insbesondere für die Anforderungen der ab dem 12. Jahrhundert in Europa entstandenen Universitäten. Diese Vorgehensweise machte Schriften wie das Kirchenrecht im Vergleich zu anderen Büchern dieser Ära relativ preisgünstig.
Ein gravierendes Problem der handgeschriebenen Bücher waren allerdings die Übertragungsfehler, die insbesondere dann auftraten, wenn aus Kostengründen auf Pergament gespart und mit vielen Abkürzungen gearbeitet wurde, wie beispielsweise dem heute bekannten „ß“ für die lateinische Superlativendung -issimus.
Die präzise Reproduzierbarkeit durch den Buchdruck eliminierte zahlreiche Fehlerquellen und trug entscheidend zur Verlässlichkeit wissenschaftlicher Kommunikation bei. Während Latein lange die Rolle einer wissenschaftlichen Lingua Franca einnahm, übernahm die exakte Kopierfähigkeit des Buchdrucks eine Schlüsselrolle in der zuverlässigen Übermittlung von Information.
Diese Verlässlichkeit steht jedoch im digitalen Zeitalter vor großen Herausforderungen. Die Fähigkeit, mittels fortschrittlicher Technologien wie „Deep Fakes“ Realitäten zu manipulieren, stellt die Glaubwürdigkeit digital aufbewahrter Daten infrage. Zudem wirft der zunehmende Einsatz von Cloud-Speichern Probleme wie den möglichen Verlust der Kontrolle über eigene Daten auf.
Ein entscheidender Moment hätte die Finanzkrise von 2008 sein können, als durch digitalisierte und fehlerhafte Hypothekendokumente Rechtsansprüche nur schwer nachweisbar waren. Der verbreitetste Scanner von Xerox, der oft Zahlen falsch erfasste, verschlimmerte das Problem erheblich.
Problematisch wird es auch im Kontext der Verdrängung herkömmlicher Speichermedien durch digitale Kopien. Wer digitale Kopie und Original gleichsetzt, begibt sich auf dünnes Eis, da die Veränderbarkeit digitaler Dateien erhebliche Risiken birgt.
Kritisch zu betrachten ist ebenfalls die potenzielle Anfälligkeit digitaler Archive für Manipulationen, die sowohl versehentlich als auch absichtlich erfolgen können. Die Geschichte lehrt uns, dass der Verlust von Originaldokumenten und die Möglichkeit ihrer Manipulation schwerwiegende Folgen für das kollektive Gedächtnis und die historische Wahrheit haben können.
In Zeiten, in denen selbst die Integrität von Texten, Daten und Aufnahmen infrage gestellt wird, müssen wir daher bewusst mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen, um die Zuverlässigkeit und Sicherheit unserer digitalen Erbe zu gewährleisten.
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