Globale Machtverschiebungen: Wie verändert sich die Weltordnung wirklich?

Von Thomas Graham

Die geopolitische Landschaft befindet sich im Wandel: Zwischen Russland und der Ukraine herrscht Krieg, im Nahen Osten eskalieren die Konflikte, in Ostasien und dem Südchinesischen Meer wachsen die Spannungen und auf dem afrikanischen Kontinent toben weiterhin Kriege. Gleichzeitig erstarken terroristische Organisationen und in Mexiko gewinnen kriminelle Kartelle an Macht. Nach einem Zeitalter der internationalen Kooperation, eingeläutet durch das Ende des Kalten Krieges, verschärft sich nun der Wettbewerb zwischen den Großmächten. Hierbei sind die USA besonders gefordert, sich gegenüber den revisionistischen Staaten China und Russland zu behaupten, während regionale Akteure wie der Iran oder Nordkorea weitere Unruhen stiften.

Trotz der Positionierung der USA als Führer der liberalen Weltordnung durch die politische Elite, gibt es Anzeichen für den Rückgang dieser Ordnung. Schon 2018 wies die Trump-Administration in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie auf ein Wiedererstarken des Großmächte-Wettbewerbs hin, und die Biden-Administration bestätigte diese Einschätzung. Beide zeigen auf, dass die Gegner der USA die Fundamente der liberalen Weltordnung, inklusive der demokratischen Werte und der US-amerikanischen Machtstellung, herausfordern.

Die USA sehen ihre einst dominierende Stellung schwinden, während Staaten wie China und in geringerem Maße Indien und vielleicht Russland, an Einfluss gewinnen. Die bislang dominierende euro-atlantische Gemeinschaft und ihre liberalen Werte verlieren zunehmend an Einfluss und Kraft.

Diese Verschiebungen führen zu einer Bewegung hin zu einer multipolaren Welt, die zwar nicht notwendigerweise anti-liberal ist, jedoch sicherlich nicht-liberal. Diese Entwicklung fordert eine Neuausrichtung der US-Strategie in Hinsicht auf ihre eigene Position und Rolle in einer globalen Ordnung, die durch eine Vielzahl von Machtzentren charakterisiert wird.

Traditionelle US-Außenpolitik und die Vermeidung von Multipolarität

In der Vergangenheit haben die USA es vermieden, sich aktiv in die multipolaren Mächtedynamiken einzubringen. Von der Unabhängigkeit bis zum späten 19. Jahrhundert nutzten sie zwar die Rivalitäten zwischen den europäischen Mächten, folgten jedoch den Ratschlägen von George Washington und Thomas Jefferson, sich aus europäischen Angelegenheiten herauszuhalten und Neutralität zu bewahren.

Als sich die geopolitischen Ambitionen der USA ausweiteten, stand das Land vor der Herausforderung, seine einzigartige moralische und demokratische Vorstellung mit einer Beteiligung in einer multipolaren Welt in Einklang zu bringen. Während des Zweiten Weltkriegs setzten sie auf eine Kooperation mit der Sowjetunion, was zu einer bipolaren Ordnung führte und die USA zur ständigen Einmischung in internationale Angelegenheiten bewog.

Bedeutung der Multipolarität und neue Strategien

In der heutigen Zeit, geprägt von finanziellen Krisen und fehlgeschlagenen Interventionen, wird die USA von Positionen herausgefordert, die eine Rückkehr zu isolierteren Außenpolitikstrategien oder eine Restauration der bipolaren Ordnung vorschlagen. Beide Ansätze sind jedoch unzureichend für eine effektive US-Teilnahme in einer globalen, multipolaren Welt.

Statt den Herausforderungen auszuweichen, sollte die US-Regierung die neue multipolare Ordnung als Gelegenheit betrachten, um mittels strategischer Zusammenarbeit und dem Aufbau regionaler Machtgleichgewichte, welche die amerikanischen Werte und Interessen global unterstützen, eine sinnvolle Position einzunehmen.

Fazit

Die USA stehen vor der Herausforderung, ihre außenpolitische Strategie grundlegend neu zu überdenken, um in einer multipolaren Welt erfolgreich zu sein. Dies beinhaltet die Anerkennung eines breiteren Spektrums an globalen Werten und Interessen, das aktive Gestalten globaler Machtverhältnisse, sowie die Anpassung ihrer Führungsrolle, um in einer veränderten Welt weiterhin relevante und effektive Beiträge zu leisten.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel wurde zuerst auf der Homepage von “Russia in Global Affairs” veröffentlicht.

Thomas Graham ist Verdienter Wissenschaftler des Rates für auswärtige Beziehungen (USA).

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