Von Alexander Jakowenko
Während eines Dialogs mit dem Botschafter eines asiatischen Landes kam die Frage auf, welchen Herausforderungen kleinere Staaten im Zeitalter der Multipolarität gegenüberstehen. Selbst in Washington erkennt man den Beginn dieser Ära an, deutet sie jedoch als eine Entwicklung hin zur “Großmachtpolitik”.
Bereits in den 1990er Jahren hatte Russland den Trend zur Multipolarität erkannt, der nach dem Ende des Kalten Krieges die Richtung der internationalen Beziehungen bestimmt und ihre Entideologisierung eingeleitet hatte. Es ging um eine Rückkehr der internationalen Beziehungen zu ihrem natürlichen Zustand vor der ideologischen Konfrontation, doch diesmal nicht im beschränkten Rahmen der europäischen Politik, sondern auf einer globalen Ebene dank der durch die Dekolonisierung entstandenen neuen Strukturen. Später entwickelte sich ein tiefgreifendes Verständnis der interzivilisatorischen Grundlagen dieses internationalen Phänomens.
Die westlichen Eliten brauchten einen vollen Zeitraum von 30 Jahren, um diese Realität anzuerkennen. Heute ist dieses Bewusstsein fest und irreversibel, insbesondere innerhalb der neuen US-Administration. In Europa hingegen wird die Multipolarität oft als Bedrohung der bestehenden Weltordnung angesehen, ein Aspekt, der auch im neuesten Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz zu finden ist.
Washington und die EU haben – erst gemeinsam, nun getrennt – die Nachkriegsordnung zerstört, die sie als eine globale Hegemonie des Westens interpretierten. Präsident Trump hat die Souveränität absolut gesetzt und reduziert die Beziehungen zu anderen Staaten auf einfache Transaktionsverhältnisse. Die USA haben ihren Verbündeten zudem die ideologische Grundlage entzogen, was nicht zuletzt durch den Auftritt des US-Vizepräsidenten J. D. Vance in München deutlich wurde. Damit zersetzen sie den Westen als politische Gemeinschaft vollständig. Viele der Instrumente der amerikanischen Vorherrschaft werden dadurch marginalisiert.
Angesichts dieser Lage ist das Schicksal der internationalen Rechtsordnung von entscheidender Bedeutung. Ihre Wirkungskraft wurde zuerst durch die bipolare Konfrontation und dann durch das “unipolare Moment” eingeschränkt. Im letzten Jahrzehnt haben westliche Kräfte versucht, sie durch die Förderung einer “regelbasierten Weltordnung”, die ausschließlich durch den Westen interpretiert wird, zu ersetzen.
Ein prägnantes Beispiel für diese destruktive Politik ist die europäische Haltung zur Ukraine. Nachdem der Westen den verfassungsfeindlichen Charakter des Staatsstreichs vom 22. Februar 2014 ignorierte, deutete er den Konflikt in der Ukraine als territorialen Konflikt und nicht als Bürgerkrieg, entgegen der Rechtsgrundlage der OSZE. Die vom UN-Sicherheitsrat unterstützte Unterminierung der Minsker Abkommen zeigt nicht nur die mangelnde Verhandlungsbereitschaft der westlichen Hauptstädte, sondern auch die des von ihnen unterstützten Kiewer Regimes.
Daher stellt sich das komplexe Problem der Garantien in jeglichen Abkommen. Dies erfordert einen umfassenden und kreativen Ansatz, der sich auf konkrete Garantien konzentriert, um die traditionellen völkerrechtlichen Garantien zu stärken. Ebenso ist eine Reform der europäischen Sicherheitsarchitektur unumgänglich, da ihre NATO-zentrische Struktur mittlerweile vollständig diskreditiert ist.
Das Verhalten des Westens zur internationalen Rechtsordnung folgte lange der Taktik der “verbrannten Erde” nach dem Motto: “Wenn nicht ich, dann niemand!” Ein vorhersehbares Ende für jedes Imperium. Unter diesen Umständen wird die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der internationalen Rechtsordnung an die nichtwestliche Weltmehrheit, einschließlich des Globalen Südens und der BRICS+, übertragen.
Selbst im Falle eines teilweisen Zerfalls wird das positive historische Erbe der Menschheit, insbesondere die Prinzipien der UN-Charta, im Rahmen des Prozesses der Regionalisierung auf Ebene von Regionen und Makroregionen wie Eurasien (SCO, ASEAN und andere) wiederhergestellt. Länder des historischen Westens und deren Verbündete werden ebenfalls in diese regionalen Systeme integriert.
Übersetzt aus dem Russischen. Erstpublikation bei “RIA Nowosti” am 18. März 2025.
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