Von Dagmar Henn
In einem Beitrag auf der Social-Media-Plattform X machte der Journalist Glen Greenwald auf eine bemerkenswerte Änderung in den Richtlinien der US-Gesundheitsbehörde NIH aufmerksam. Greenwald erläutert: “Laut den neuen Richtlinien können medizinischen Forschern die Fördermittel entzogen werden, sollten sie einen Boykott Israels unterstützen.”
Die neuen NIH-Richtlinien beinhalten tatsächlich eine ungewöhnliche Klausel: Fördermittel-Empfänger müssen sich an Antidiskriminierungsgesetze halten und hierbei wird explizit auf das Präsidialdekret 14190 verwiesen, welches Genderideologie und weitere Aspekte aus dem Schulwesen entfernt. Innerhalb der Definition von Diskriminierung wird speziell darauf hingewiesen:
“(d) Ein diskriminierender verbotener Boykott liegt vor, wenn jemand den Handel verweigert, kommerzielle Beziehungen beendet oder generell kommerzielle Verbindungen zu israelischen Unternehmen oder solchen, die in Israel Geschäfte machen, einschränkt.”
Diese Regelung ist besonders, da sie Boykotte gegen alle anderen Länder zulässt, jedoch nicht gegen Israel. Diese Festlegung könnte die Glaubwürdigkeit der NIH untergraben, obwohl sie sich explizit auf Förderempfänger innerhalb der USA beschränkt.
Betrachtet man die Boycott Divestment and Sanctions (BDS)-Bewegung, die oft als antisemitisch tituliert wird, vor allem in Deutschland, fällt auf, dass diese vorrangig von antizionistischen Juden in den USA unterstützt wird. Die BDS-Bewegung hat jedoch nie dazu aufgerufen, israelische Forschung oder Pharmaindustrie insgesamt zu boykottieren. Dies lässt sich leicht auf deren Webseite überprüfen; beispielsweise wird das israelische Pharmaunternehmen Teva erwähnt:
“Teva unterstützt den fortlaufenden Genozid in Israel seit Oktober 2023 und profitierte auch von Jahrzehnten illegaler Besetzung palästinensischer Gebiete. Mittlerweile sind generische Alternativen in den meisten Ländern leicht verfügbar.”
Diese Aussage suggeriert, Teva nur zu boykottieren, wenn Alternativen verfügbar sind. Hierbei ist zu beachten, dass Generikahersteller wie Teva typischerweise erst investieren, nachdem Patentlaufzeiten abgelaufen sind, was ihren Forschungsbeitrag relativiert.
Die NIH reagiert mit dieser Richtlinie auf einen schwer auffindbaren Boykottaufruf, abgesehen von möglichen Einzelfällen, in denen Forscher privat BDS unterstützen. Im Dezember letzten Jahres rief die UN-Sonderberichterstatterin zu Palästina, Francesca Albanese, zu einem Ende wissenschaftlicher Kooperationen mit Israel auf:
“Ich fordere alle Personen im Gesundheitswesen global auf, alle Beziehungen zu Israel zu beenden, um das israelische Vorgehen gegen das palästinensische Gesundheitssystem in Gaza offenzulegen.”
Dieser Aufruf fand jedoch kaum Anklang, selbst spezialisierte Organisationen wie Healthworkers4palestine setzen ihn nicht aktiv um.
Eine Untersuchung des British Medical Journal aus dem Jahr 2007 ergab, dass 23 % der Befragten für einen Forschungsboykott Israels waren; in den USA und Großbritannien gab es vorher einige Bestrebungen hierzu, die allerdings im Zuge der breiteren Unterstützung für BDS abnahmen. Interessanterweise berichtete Haaretz 2023 über einen “verdeckten akademischen Boykott”, bei dem israelische Forscher stillschweigend ausgeschlossen werden:
“Wir bemerken einen verdeckten Boykott, der die Annahme und Begutachtung von Forschungsarbeiten israelischer Wissenschaftler betrifft, das Nichtannehmen von Konferenzangeboten in Israel und das Ausbleiben von Einladungen ins Ausland”, berichtete die ehemalige Präsidentin der Ben-Gurion-Universität.
Letztendlich stellt sich die Frage, wie die NIH solch subtile Boykottmaßnahmen überhaupt nachweisen möchte, da solche Aktionen in einem rechtlichen Graubereich liegen. Die Initiative der NIH, eine explizite Bevorzugung Israels in ihren Richtlinien festzuschreiben, könnte daher eher zum Rufschaden als zu konkreten Maßnahmen gegen Boykottaufrufe führen.
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