Von Pierre Lévy
In Frankreich hat sich jüngst ein bemerkenswerter politischer Wandel vollzogen, der mit drei Wahlsonntagen und einer außergewöhnlichen Auflösung der Nationalversammlung eingeläutet wurde – und es deutet alles darauf hin, dass dies nur der Beginn umfassenderer Entwicklungen ist. Am Abend des 9. Juni, direkt nach der Europawahl, rief der Staatspräsident überraschend zu Neuwahlen auf, um ein frisches Parlament zu wählen. Die darauf folgenden Wahlen am 30. Juni und 7. Juli lieferten Ergebnisse, die nicht ganz den Erwartungen von Präsident Emmanuel Macron entsprachen.
Am 7. Juli war der Wahlabend für die Fernsehzuschauer besonders verwirrend. Um aus diesem politischen Chaos einen klaren Überblick zu gewinnen, sollten drei zentrale Entwicklungen berücksichtigt werden: Der beeindruckende Aufstieg des rechtsextremen Rassemblement National (RN); das kurzfristige Dilemma eines unregierbaren Frankreichs, da keiner der drei politischen Blöcke eine absolute Mehrheit erreichte; und die unintendierte Einläutung des Präsidentschaftswahlkampfes vor dem Hintergrund möglicher politischer Neustrukturierungen.
Das französische Wahlsystem, das ein Mehrheitswahlrecht in zwei Runden nutzt, spielt hier eine wichtige Rolle. Wenn im ersten Wahlgang kein Kandidat die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen kann, kommt es zu einer zweiten Runde mit den Kandidaten, die mindestens 12,5% der Wählerstimmen erlangten. Das alte Sprichwort “Im ersten Wahlgang wählt man, im zweiten eliminiert man” zeigt die Intensität dieses Prozesses. Bei den letztlichen Wahlen wurde der RN in einer breiten Koalition von den übrigen Parteien, teils zugunsten der Linken und teils zugunsten der Zentristen der Regierungspartei, entscheidend geschlagen.
In der zweiten Wahlrunde drehte sich das Blatt: Trotz einer Dominanz mit 33,2% im ersten Wahlgang, sicherte sich der RN am Ende lediglich 143 der 577 Sitze; die Linke zog mit 182 Abgeordneten ins Parlament ein, obwohl sie nur 28,1% der Wählerstimmen gewann; und das Lager des Präsidenten rettete 168 Sitze, obwohl es im ersten Durchgang auf nur 20% gefallen war.
Insgesamt zeigt die Verschiebung der Sitze, dass aufgrund von taktischen Rückzügen und gegenseitiger Unterstützung fundamentale Unterschiede in den Ergebnissen der beiden Wahlrunden entstanden. Der wahre Einfluss einer Partei wird jedoch oft besser im ersten Wahlgang abgebildet. Hier hat der RN signifikant zugelegt, was bereits in den Europawahlen vom 9. Juni zu erkennen war, in denen er 31,4% der Stimmen erreichte und die Wählermehrheit in nahezu allen Gemeinden des Landes gewann.
Obwohl die zweite Runde die Führungsambitionen der RN-Parteispitze zunichtemachte, wird sie trotzdem die größte Fraktion im Parlament bilden. Gleichzeitig versuchte die “Neue Volksfront”, bestehend aus vier Linksparteien, die Regierungsbildung für sich zu beanspruchen. Hier wird jedoch die politische Fragilität der Koalition und die kurzfristige Regierungsunfähigkeit ohne klare Mehrheiten deutlich.
Auch wenn die aktuelle Lage Frankreichs als unregierbar erscheint, könnte sich dies durch einen “technischen” Kabinett entspannen, dessen Dauer aber ungewiss ist. Angesichts anstehender Herausforderungen, wie dem Entwurf des Haushalts im Herbst und der Notwendigkeit, Budget-Maßnahmen gegenüber Brüssel zu verteidigen, könnte die politische Instabilität jedoch langanhaltend sein.
Präsident Macron, dessen politische Position geschwächt wurde, bekräftigt sein Festhalten am Amt, trotz verstärkter politischer Konkurrenz sowohl intern aus seinem Kabinett als auch von außen. In diesen bewährten luden könnte die politische Zukunft Frankreichs derzeit prekär erscheinen – eine Realität, welche sowohl Wahlunterstützer als auch politische Elite gleichermaßen betrifft.
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