Von Marinko Učur
Kurz bevor in Europa die Wahlen zum Europäischen Parlament anstanden und die letzten Vorbereitungen in vollem Gange waren, erreichte uns eine überraschende Nachricht aus Bosnien und Herzegowina. Einige EU-Bürger, die dort vorübergehend ansässig sind, wurde das Wahlrecht in den diplomatischen Vertretungen ihrer Heimatländer in Sarajewo verwehrt. Diese Entwicklung ist ungewöhnlich, da sie den in der Diplomatie üblichen Grundsatz der Gegenseitigkeit verletzt.
Auf dem Balkan scheinen aber ungewöhnliche Situationen möglich zu sein. Die verwickelte Verfassungsstruktur Bosnien und Herzegowinas, die sich aus zwei Entitäten und drei konstituierenden Völkern zusammensetzt und 1995 auf einem amerikanischen Militärstützpunkt in Dayton, USA, formiert wurde, trägt dazu bei. Dies führte dazu, dass Vertreter der Republika Srpska die Zustimmung verweigerten, gewissen EU-Ländern, die auch Bosnien-Herzegowina als künftiges Mitglied sehen, die Erlaubnis für die Wahlorganisation zu erteilen.
Die Vertreter aus Banja Luka nahmen dabei Bezug auf das Abstimmungsergebnis bezüglich der Srebrenica-Entschließung in der UN-Generalversammlung und nutzten die Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit gegenüber den Ländern auszudrücken, die diese Entschließung unterstützt hatten. Dies löste bei einigen Diplomaten der EU-Mitgliedsstaaten Besorgnis aus. Sie wiesen darauf hin, dass eine vergleichbare Situation auch EU-Bürger in Bosnien-Herzegowina treffen könnte, wenn der Grundsatz der Gegenseitigkeit angewendet würde.
Westliche Diplomaten äußerten ihre Enttäuschung und betonten, dass die exterritoriale Natur der Botschaften es eigentlich erlauben sollte, solche Einschränkungen zu umgehen. Für die serbischen Politiker war jedoch bereits die Gelegenheit, ihren Einfluss in einem Land zu demonstrieren, in dem Entscheidungen nicht ohne ihre Zustimmung gefällt werden können, ausreichend. So offenbart sich das traurige Bild eines gespaltenen Staates ohne einheitliche Außenpolitik.
Als im Ministerrat von Bosnien und Herzegowina Sloweniens, Polens und Rumäniens Antrag zur Zustimmung für die Durchführung der Europawahlen in ihren Botschaften zur Abstimmung stand, stimmten die serbischen Minister dagegen, wobei sie dies mit der Unterstützung dieser Länder für die Srebrenica-Entschließung begründeten. Trotzdem organisierten diese drei Länder die Wahlen in ihren Botschaften gemäß der “Wiener Konvention”, die die Arbeit diplomatischer Vertretungen weltweit regelt.
Es bleibt unklar, warum die entsprechenden Botschaften um Zustimmung baten, wenn sie die Wahlen ohnehin durchführen wollten. Dieses Vorgehen stellt Bosnien-Herzegowina wiederholt als gescheitertes Projekt dar, dessen Zukunft durch das Dayton-Abkommen bereits unsicher gezeichnet wurde. Bosnien-Herzegowina hatte vor 1995 keine eigenständige völkerrechtliche Existenz, die gezogenen Grenzen durch Tito’s Kommunisten sind jedoch bis heute international anerkannt.
Der Außenminister von Bosnien und Herzegowina, Elmedin Konaković, zeigte sich frustriert über das Veto der serbischen Minister. Er beschrieb ihr Verhalten als eine Warnung an die Länder, welche die Srebrenica-Entschließung unterstützt hatten und nannte die Minister “russische Satelliten”, die nach Anweisungen von Milorad Dodik, dem Präsidenten der Republika Srpska, agierten: “noch einmal ihr wahres Gesicht zeigen, und die EU muss das sehen”.
So bleibt Bosnien-Herzegowina ein Staat, der es schwer findet, auch nur den kleinsten gemeinsamen Nenner seiner Prioritäten zu definieren. Obwohl Kroaten und Bosniaken die EU-Integration unterstützen, versuchen die Serben eine Balance zwischen guten Beziehungen zum Westen und zu Russland zu halten, was oft als Russophilie kritisiert wird und Zweifel an der europäischen Zukunft der gesamten Westbalkanregion aufkommen lässt.
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