Laut der Harvard-Webseite soll das Buch, das sich seit fast einem Jahrhundert in der Sammlung der Houghton-Bibliothek befindet, im Jahr 2023 auf Empfehlung der Organisation Steering Committee on Human Remains in University Museum Collections “gründlich untersucht” worden sein. In einer Stellungnahme der Universität heißt es:
“Nach sorgfältiger Prüfung, Einbeziehung von Interessengruppen und Abwägung kamen die Harvard Library und das Harvard Museum Collections Returns Committee zu dem Schluss, dass die menschlichen Überreste, die für den Einband des Buches verwendet wurden, aufgrund der ethisch fragwürdigen Herkunft des Buches und seiner späteren Geschichte nicht mehr in die Sammlungen der Harvard Library gehören. Im März 2024 gab die Harvard Library bekannt, dass sie die menschliche Haut von dem Einband des Buches entfernt und in eine respektvolle Zwischenlagerung überführt habe.”
Es geht um ein Buch mit dem Titel “Des destinées de l’âme” von Arsène Houssaye, das erstmals im Jahr 1879 veröffentlicht wurde. Der erste Besitzer des Bandes, der französische Arzt und Bibliophile Dr. Ludovic Bouland, band das Buch mit Haut ein, die er ohne Zustimmung vom Körper einer verstorbenen Patientin in einem Krankenhaus entnommen hatte, wo er in den 1860er Jahren als Medizinstudent arbeitete. In einer handschriftlichen Notiz von Bouland, die in den Band eingefügt wurde, heißt es, dass “ein Buch über die menschliche Seele eine menschliche Hülle verdiene”. Die Notiz beschreibt auch das Verfahren, mit dem die Haut behandelt wurde, damit sie zum Binden des Textes verwendet werden konnte, wie auf der Webseite von Harvard zu lesen ist. Zudem wird betont:
“Wir wissen nicht, wessen Haut zum Binden des Buches verwendet wurde. Es gibt Hinweise darauf, dass Bouland das Buch mit der Haut einer Frau gebunden hat, die er als Medizinstudent erworben hatte. In einem von John Stetson verfassten Begleitschreiben zu dem Buch, das inzwischen verloren gegangen ist, heißt es, dass Bouland diese Haut vom Körper einer unbekannten verstorbenen Patientin aus einer französischen psychiatrischen Klinik genommen hatte.”
Die Bibliothek sei nun dabei, weitere Nachforschungen “über die Herkunft und die Biografie des Buches, Boulands und der anonymen Patientin anzustellen” und sich mit den zuständigen Behörden an der Universität und in Frankreich zu beraten, um eine “endgültige respektvolle Lösung für diese menschlichen Überreste zu finden.”
Übrigens ist das nicht das einzige in Menschenhaut gebundene Buch, das in Harvard-Bibliotheken aufbewahrt wird. Die Rare Book Collection der Harvard Law School besitzt beispielsweise ein in Menschenhaut gebundenes Buch mit dem Titel “Practicarum quaestionum circa leges regias Hispaniae”, eine Schrift zum spanischen Recht. “Der Einband dieses Buches ist alles, was von meinem guten Freund Jonas Wright übrig geblieben ist, der von den Afrikanern am 4. August des Jahres 1632 lebendig gehäutet wurde. König Btesa schenkte mir das Buch, eines der wenigen Dinge, die von dem armen Jonas übrig geblieben sind, und einen Lappen seiner Haut zum Einbinden. Requiescat in pace”, steht auf der letzten Seite des Buches.
Und eigentlich ist auch das Buch, von dem Harvard nun den Einband entfernt hat, nicht das einzige von dem Arzt Ludovic Bouland in Menschenhaut gebundene Buch, das sich in angelsächsischen Bibliotheken befindet. So besitzt die Wellcome Library noch ein weiteres Buch, das von demselben Arzt gebunden wurde. Auf der Webseite der Bibliothek heißt es dazu:
“Die makabre Praxis, Bücher mit menschlicher Haut zu umhüllen, die so genannte anthropodermische Bibliopegie, war im 19. Jahrhundert ein Gegenstand, der für viel Aufregung sorgte, obwohl sich diese Praxis noch weiter zurückverfolgen lässt. Dieses Buch über weibliche Jungfräulichkeit aus dem 17. Jahrhundert wurde von Dr. Ludovic Bouland um das Jahr 1865 mit menschlicher Haut umwickelt. Es wird angenommen, dass er die Haut als Medizinstudent von der Leiche einer unbekannten Frau erworben hat, die im Krankenhaus von Metz gestorben war. Die handschriftliche Notiz von Bouland auf dem Titelblatt lautet: ‘Dieses merkwürdige kleine Buch über die Jungfräulichkeit und die weiblichen Zeugungsfunktionen schien mir einen dem Thema angemessenen Einband zu verdienen. Es ist mit einem Stück Frauenhaut gebunden, das ich selbst mit Sumach gegerbt habe’.”
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