Von Gert Ewen Ungar
Am ersten Dezember, zu Beginn ihrer Amtszeit, besuchte die frisch ernannte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas Kiew. Dort versprach sie der Ukraine uneingeschränkte Unterstützung der EU und sprach sich für anhaltende Waffenlieferungen aus. Mit klaren Worten kritisierte sie Russland. Ihr Ziel war es, sich als entschlossene und proaktive EU-Außenbeauftragte zu positionieren.
Doch dieser starke erste Eindruck verblasste rasch. Die abrupte Machtübernahme durch Islamisten in Syrien nach dem Zusammenbruch der Regierung unter Präsident Baschar al-Assad traf Kallas scheinbar unvorbereitet.
Auf den Vormarsch der Islamisten reagierte Kallas zunächst nicht. Erst am siebten Dezember veröffentlichte die EU eine knappe Stellungnahme, die sich auf lediglich drei Sätze beschränkte:
“Die Europäische Union beobachtet die sich schnell entwickelnde und instabile Lage in Syrien genau. Da die Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen im ganzen Land eskalieren, fordern wir alle Parteien dringend auf, die Zivilbevölkerung zu schützen und die Sicherheit der humanitären Helfer zu gewährleisten. Wir bekräftigen unsere Forderung nach einer politischen Lösung im Einklang mit der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrates.”
Wie jedoch die EU unter Kallas’ Führung konkret zu den neuen islamistischen Machthabern steht, bleibt unklar. Ihre Twitter-Nachricht vom achten Dezember, in der sie den Sturz von Assad begrüßt und Russland sowie den Iran kritisiert, bietet ebenfalls keine Klarheit über ihre Haltung zu den neuen Herrschern in Syrien.
Auch zu der Annexion syrischen Territoriums durch Israel äußert sie sich nicht eindeutig. Obwohl sie den Schutz von Minderheiten und die Achtung des internationalen Rechts betont, bleibt sie eine klare Verurteilung Israels für seine Luftangriffe auf Syrien schuldig. Ihre Vorgehensweise wirft Fragen auf, da unklar bleibt, welche Position sie zu den von der UN als Terrororganisation eingestuften neuen Machthabern einnehmen wird.
Sowohl in Bezug auf ihren kraftvollen Start als auch auf ihre darauffolgenden Handlungen zeigt sich, dass Kaja Kallas’ Außenpolitik als inkonsistent und unbestimmt angesehen werden kann. Ihre energische Rhetorik gegenüber Russland stand in starkem Kontrast zu ihrem zögerlichen Verhalten gegenüber anderen kritischen Themen wie Israel und den Islamisten. Es scheint, dass eine konsequente und klar formulierte EU-Außenpolitik unter ihrer Leitung unwahrscheinlich ist.
Es bleibt der Eindruck, dass Kallas’ Fähigkeiten in der Außenpolitik sich hauptsächlich auf eine starke Haltung gegenüber Russland beschränken, was für eine umfassende Leitung der EU-Diplomatie nicht ausreichend erscheint.
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