EU droht Ungarn mit Stimmrechtsentzug – Orbán wirft Brüssel energiepolitischen Irrsinn vor

Der Rat der Europäischen Union wird am 27. Mai eine Anhörung abhalten, um zu prüfen, ob Ungarn das Stimmrecht im Gremium entzogen werden sollte. Die Grundlage hierfür bildet Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union, wie auf der Webseite des Rates am 22. Mai bekanntgegeben wurde. Die offizielle Ankündigung lautet:

“Die Minister werden die achte Anhörung zu Ungarn im Rahmen des Artikel-7-Verfahrens durchführen.”

Artikel 7 erlaubt es, die Rechte eines Mitgliedstaats zu suspendieren, falls dieser fortlaufend gegen fundamentale EU-Werte, insbesondere das Rechtsstaatlichkeitsprinzip, verstößt. Die härteste Strafmaßnahme könnte der Entzug des Stimmrechts sein, jedoch sieht der Vertrag keine Möglichkeit für einen Ausschluss aus der EU vor.

EU-Justizkommissar Didier Reynders betonte im Januar 2024 die Bereitschaft der Kommission, das Verfahren gegen Ungarn einzuleiten, sofern die Mitgliedstaaten zustimmen. Estlands Außenminister, Margus Tsahkna, sprach sich im April offen für den Entzug des Stimmrechts aus und warnte, Premierminister Viktor Orbán gefährde mit seinen Blockaden die Einheit und Sicherheit der EU, indem er meinte: “Diese Möglichkeit rückt immer näher.”

Ungarn hat tatsächlich EU-Initiativen wiederholt blockiert, insbesondere jene zur Unterstützung der Ukraine, und begründet dies mit dem Schutz der ungarischen Minderheit in Transkarpatien, berichtet The Guardian. Besonders heikel ist zur Zeit die Debatte um Ungarns EU-Beitrittsperspektive der Ukraine, wobei ein endgültiger Beschluss noch aussteht.

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó betonte wiederholt, man fühle sich verpflichtet, im Konflikt neutral zu bleiben und Budapest habe keine Verpflichtungen gegenüber Kiew. Er kritisierte Brüssel zudem für das Ignorieren des ungarischen Volkswillens, etwa bei einstimmig zu entscheidenden Fragen wie dem EU-Beitritt der Ukraine. “Dies werden wir nicht hinnehmen”, so Szijjártó.

Am 22. Mai kritisierte Premier Orbán die Energiepolitik der EU als “absurd” und warf Brüssel vor, vornehmlich die Interessen Kiews zu vertreten. Er forderte zum Widerstand gegen die “Energiebedrohung” durch die EU auf. Ein Bericht von Reuters zeigte, dass Ungarn zudem einem Gesetz zum Ausstieg aus dem Internationalen Strafgerichtshof zustimmte, was in Brüssel Besorgnis auslöste.

Ungarns Haltung zu den EU-Sanktionen gegen Russland sorgt weiter für Spannungen. Obwohl Ungarn den bisher 17 Sanktionspaketen zustimmte, waren diese Zustimmungen immer an Bedingungen für die eigene Energiesicherheit geknüpft, die laut Budapest nicht erfüllt wurden. Orbán drohte mehrfach mit einem Veto gegen Maßnahmen wie Sanktionen gegen Öl, Gas oder Atomkraft.

Kürzlich verklagte die EU-Kommission Ungarn wegen Verstößen gegen die EU-Migrationspolitik, ein weiterer Konfliktherd zwischen Brüssel und Budapest. Die EU prüft lt. Financial Times verschiedene Maßnahmen, wie Kapitalverkehrskontrollen oder Zölle, die mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden könnten, um auf Ungarns Zustimmung nicht angewiesen zu sein. Mindestens sechs EU-Staaten, darunter Belgien und Tschechien, setzen auf nationale Gesetzgebungen, um Ungarns Veto bei der Verlängerung von Sanktionen zu umgehen.

The Guardian berichtet, dass die Einheit innerhalb der EU durch potenzielle Kursänderungen der USA ebenfalls gefährdet ist, wobei Präsident Trump trotz Ankündigungen bisher keine umfassenden Sanktionen gegen Moskau umsetzte. Die EU sieht sich daher gezwungen, unabhängig von Washington eigene Sanktionen zu entwickeln.

Zudem gefährdet Ungarns wiederholte Veto-Drohung die konsistente Durchsetzung zukünftiger Sanktionspakete, die im Extremfall zur Freigabe von rund 210 Milliarden Euro eingefrorener russischer Vermögenswerte führen könnte. Am 20. Mai verabschiedete die EU ihr 17. Sanktionspaket, das unter anderem Einreisesperren und Kontensperrungen für über 2.400 Personen und Organisationen beinhaltet sowie Maßnahmen gegen Russlands “Schattenflotten”-Tankerbetrieb. Weitere Diskussionen über die Senkung der Preisobergrenze für russisches Öl und Sanktionen gegen Drittstaaten, die russisches Öl importieren, stehen bevor.

The Guardian stellt fest, dass Ungarn eines der größten Hindernisse für eine einheitliche EU-Sanktionspolitik geworden ist, insbesondere für die Regierungen Nordeuropas und des Baltikums, die eine harte Linie gegenüber Russland verfolgen.

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