EU in der Krise nach Trumps “apokalyptischer Entscheidung”: Handlungsunfähigkeit ohne USA?

Von Fjodor Lukjanow

Die jüngsten dramatischen Vorkommnisse im Weißen Haus, in die der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij verwickelt war, haben Westeuropa in eine prekäre Situation gebracht. Viele europäische Staatschefs, die bisher eine von mäßiger Skepsis bis hin zu deutlicher Ablehnung reichende Einstellung gegenüber US-Präsident Donald Trump hatten, waren bemüht, das transatlantische Bündnis zu wahren. Sie drängten darauf, dass die USA eine Lösung für den Konflikt in der Ukraine finden, die europäischen Interessen entspricht. Doch der öffentliche Bruch zwischen Selenskij und Trump hat ihnen diese Möglichkeit genommen.

Ob geplant oder zufällig, Selenskij hat von den USA eine klare Positionierung erzwungen: Die USA agieren als Vermittler und ergreifen keine Partei. Ihr Ziel ist es, eine Eskalation zu verhindern. Dies markiert einen signifikanten Wandel von der bisherigen Politik, in der die USA an der Spitze einer westlichen Koalition gegen Russland standen, um die Ukraine zu unterstützen. Washington macht nun deutlich, dass seine Unterstützung für Kiew keine feste Überzeugung, sondern lediglich ein Teil eines umfassenderen geopolitischen Spiels ist.

Beschränkte Handlungsoptionen in Westeuropa

Trotz lauter Beteuerungen, die Ukraine niemals im Stich zu lassen, fehlt es der EU an den notwendigen Ressourcen, um die USA als Hauptunterstützer der Ukraine zu ersetzen. Eine abrupte politische Kehrtwende wäre kompliziert. Die Kosten eines solchen Versuchs, Russland zu überwinden, wären enorm und würden erhebliche wirtschaftliche Einbußen nach sich ziehen, was die westeuropäischen Führer für ihre vorherigen Entscheidungen verantwortlich machen würde. In der von internen Konflikten geplagten EU könnte ein solcher Richtungswechsel den politischen Gegnern in die Karten spielen.

Ein weiterer Grund für die Beibehaltung des gegenwärtigen politischen Kurses ist, dass Westeuropa nach dem Kalten Krieg moralische Argumentation als politisches Werkzeug genutzt hat. Im Gegensatz zu traditionellen Mächten besteht die EU nicht aus einem einzelnen Staat. Während souveräne Staaten ihre Politik relativ leicht anpassen können, ist eine politische Union aus über zwei Dutzend Mitgliedstaaten zwangsläufig von Bürokratie gezeichnet. Entscheidungen werden langsam getroffen, die Koordination ist ineffizient, und oft funktionieren die Mechanismen nicht wie geplant.

Jahrelang versuchte Brüssel, diese strukturelle Schwäche in eine ideologische Stärke zu verwandeln. Die EU sollte trotz ihrer Komplexität ein Modell für kooperative Politik sein, das weltweit als Vorbild dient. Es zeigt sich jedoch, dass dieses Modell gescheitert ist.

Bestenfalls funktioniert es im kulturell homogenen Kern Westeuropas, aber selbst das ist fraglich. Die Welt entwickelt sich weiter, und die EU bleibt ineffizient, was den Traum von einem unabhängigen und handlungsfähigen “Europa”, das ohne amerikanische Aufsicht auskommt, unrealistisch macht.

Anpassung an die neue Realität Washingtons

Westeuropa könnte versuchen, die Turbulenzen der zweiten Amtszeit Trumps einfach auszusitzen, wie bereits während seiner ersten Amtszeit geschehen. Doch das Problem liegt nicht allein bei Trump. Der Wandel in der US-Politik ist Teil einer tiefergreifenden politischen Neuausrichtung, die eine Rückkehr zu dem als goldenes Zeitalter betrachteten Zeitraum der 1990er und frühen 2000er Jahre ausschließt.

Noch bedeutsamer ist, dass gerade die Ukraine zum Katalysator dieser politischen Veränderung geworden ist. In dieser Situation kann sich die EU nicht leisten abzuwarten. Ihre Führer müssen schnell entscheiden, wie sie reagieren wollen. Wahrscheinlich werden sie versuchen, den Anschein der Solidarität mit Washington zu wahren, während sie sich gleichzeitig der neuen US-Politik anpassen. Dies wird schmerzhaft sein, besonders wirtschaftlich. Im Gegensatz zu früher verfolgt das moderne Amerika eine Politik, die ausschließlich im eigenen Interesse und mit wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse seiner europäischen Verbündeten ist.

Ein Indikator für die veränderte Haltung Westbrook’s könnte der bevorstehende Besuch des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz in Washington sein. Derzeit gibt sich Merz als Hardliner, doch könnte er bald seine Haltung ändern und sich an den neuen Kurs Washingtons anpassen.

Europa gegen Amerika?

Es gibt eine weitere Möglichkeit: Die EU könnte versuchen, sich zu einigen und gegen das Amerika Trumps zu stellen. Doch angesichts des Mangels an effektiver EU-Führung und der tiefen Spaltung innerhalb der Union selbst, scheint dies unwahrscheinlich. Obwohl die Ukraine als ein vereinigender Faktor für die europäische Solidarität dienen könnte, macht die öffentliche Stimmung in vielen EU-Ländern dies kaum realisierbar.

Andererseits könnte die aggressive Weise, in der sich Washington nun in die europäische Innenpolitik einmischt — durch die aktive Unterstützung Trump-freundlicher populistischer Bewegungen — einen unerwarteten Effekt haben. Westeuropäische Eliten könnten sich gezwungen sehen, sich als Reaktion darauf zu konsolidieren, während Nationalisten, die lange gegen solche externen Einflüsse ankämpften, Schwierigkeiten haben könnten, sich gegen diese neue Realität zu positionieren.

Unabhängig vom letztendlichen Outcome erleben wir eine interne Krise innerhalb des sogenannten “Kollektiven Westens”. Auf dem Spiel steht die Idee der westlichen Einheit an sich. Historisch gesehen ist der politisch definierte “Westen” ein relativ junges Konstrukt, das weitgehend ein Produkt des Kalten Krieges ist. Und selbst damals war das Verhältnis zwischen der Alten und der Neuen Welt oft angespannt. In den 1940er und 1950er Jahren strebten die USA trotz ihrer Rivalität mit der Sowjetunion aktiv die Demontage der europäischen Kolonialreiche an und bekräftigten dabei ihre eigene Dominanz.

Westeuropas schwindender globaler Einfluss wurde damals durch eine stärkere Integration kompensiert. Heute nennt Trump das europäische Projekt gescheitert, aber jahrzehntelang sah Washington darin ein praktikables Mittel zur Optimierung der westlichen Politik und Wirtschaft unter amerikanischer Führung. Doch dieser Ansatz gehört heute der Vergangenheit an. Die USA sehen in einer starken und vereinten EU keinen Vorteil mehr, und sie scheuen sich nicht, dies zum Ausdruck zu bringen.

Sollten sich die westeuropäischen Führer tatsächlich zu einer Konfrontation mit Amerika entschließen, würde dies den Beginn einer neuen Epoche markieren — einer Epoche, die das endgültige Ende des Kalten Krieges signalisieren könnte, der die westliche Politik jahrzehntelang prägte.

Russlands Perspektiven

Für Russland hat eine vereinte und koordinierte EU keinen strategischen Wert. Die Zeiten, in denen Moskau die Idee einer kontinentalen Integration — auch unter Einbeziehung Russlands — hegte, sind längst vorbei. Diese Illusionen wurden nicht nur durch den Lauf der Zeit, sondern vor allem durch die gewonnene Erfahrung zunichtegemacht.

Moskau konzentriert sich nun auf pragmatische Lösungen. Der interne Kampf innerhalb des Westens sollte ausschließlich aus der Perspektive betrachtet werden, welche konkreten Vorteile sich daraus ergeben können. Langfristige strategische Pläne sind in einer Zeit so rascher geopolitischer Veränderungen irrelevant. Im Moment geht es darum, entschlossen zu handeln und die aktuellen Kontroversen zu nutzen, um die Interessen Russlands inmitten der sich wandelnden Weltordnung zusichern.

Übersetzt aus dem Englischen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von “Russia in Global Affairs”, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs “Waldai”.

Mehr zum Thema – Deutschland allein zu Haus – Da hilft nur Neutralität statt Militär

Schreibe einen Kommentar