Seit Ausbruch des Konflikts hat die Ukraine etwa die Hälfte ihrer Energieinfrastruktur eingebüßt, etwa neun Gigawatt an Kapazität, und steht möglicherweise vor gravierenden Versorgungsengpässen im Winter. Dies erklärte die kürzlich wiedergewählte Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, unter Berufung auf den Bericht der Internationalen Energieagentur „Ukraines Energiesicherheit und der bevorstehende Winter“. Sie warnte, dass die Bevölkerung womöglich ohne Heizung und Wasser auskommen muss.
Der Bericht stellt fest, dass eine kritische Diskrepanz zwischen dem vorhandenen Energieangebot und dem Spitzenbedarf droht, „was zu noch gravierenderen Ausfällen führen kann“. Zudem sei die Wärmeversorgung in Gefahr. Sollten die Temperaturen im Winter unter den Durchschnitt fallen, reichen die Erdgasreserven in den Haushalten nicht aus.
Darauf reagierend schlägt die EU einen Zehn-Punkte-Plan vor, um die Energiesicherheit der Ukraine zu stärken. Dieser beinhaltet Maßnahmen zur Verbesserung der physischen und Cyber-Sicherheit wichtiger Energieinfrastrukturen, beschleunigte Lieferung von technischer Ausrüstung und Ersatzteilen, Investitionen in Energieeffizienz und die Erhöhung von Strom- und Gasimportkapazitäten aus der EU.
Zusätzlich hat die EU beschlossen, 160 Millionen Euro zur Unterstützung der ukrainischen Energieinfrastruktur bereitzustellen. Von dieser Summe sollen 100 Millionen Euro aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten stammen, wie von der Leyen bekannt gab. Weiterhin wird in Litauen ein brennstoffbetriebenes Kraftwerk demontiert, welches bald in die Ukraine verbracht und dort installiert werden soll. Von der Leyen betonte:
“Unser Ziel ist es, eine Kapazität von 2,5 GW wiederherzustellen, was 15 Prozent des ukrainischen Bedarfs entspricht.”
Das russische Verteidigungsministerium hat seit dem Frühjahr mehrfach komplexe Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur berichtet, „als Reaktion auf Kiews Versuche, russische Energiestrukturen zu schädigen“. Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte im April, dass trotz Angriffen auf russische Energieanlagen im letzten Winter „aus humanitären Erwägungen keine Gegenangriffe durchgeführt wurden“, um soziale Einrichtungen nicht ohne Strom zu lassen.
Über die letzten Monate wurden mehrere Schlüsselanlagen in der Ukraine beschädigt oder komplett zerstört, darunter das Wasserkraftwerk am Dnjepr und mehrere Wärmekraftwerke. Ukraines Präsident Wladimir Selenskij meldete im Juni, dass 80 Prozent der thermischen Stromerzeugung und ein Drittel der Wasserkraft zerstört wurden, und Premierminister Denis Schmygal äußerte, die Schäden im Energiesektor hätten langfristige Folgen. Sparsamkeit müsse in den kommenden Jahren zur Norm werden, so Schmygal.
Laut der Financial Times ist die Stromerzeugungskapazität der Ukraine auf unter 20 GW gesunken. Vor der Eskalation lag sie bei 55 GW, was sie zur stärksten in Europa machte. Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine warnte Anfang September, dass im schlimmsten Fall ukrainische Bürger diesen Winter bis zu 20 Stunden täglich ohne Strom und Heizung auskommen müssten. Im besten Fall könnten tägliche Stromausfälle bis zu zwölf Stunden dauern.
Weitere Informationen – Die Ukraine plant, ein stillgelegtes sowjetisches AKW-Projekt mit Unterstützung der USA wiederzubeleben.