Von Gert Ewen Ungar
Am Dienstag präsentierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr neues Kommissionsteam sowie die politischen Prioritäten für die anstehende Legislaturperiode. Herausragend ist, dass von der Leyen alle internen Kritiker erfolgreich neutralisiert hat.
Der Amtsinhaber des EU-Außenbeauftragten, Josep Borrell, wird durch Kaja Kallas ersetzt. Kallas, die ehemalige estnische Premierministerin, ist bekannt für ihre strenge Haltung gegenüber Russland. Von ihr sind keine diplomatischen Gesten oder Initiativen zu erwarten. Mit dieser Personalentscheidung fördert von der Leyen die zunehmende Spaltung zwischen Ost und West in Europa.
Auch wenn Borrell in seiner Russlandpolitik eng mit der Kommissionspräsidentin zusammenarbeitete, unterschieden sich ihre Ansichten deutlich in Bezug auf Israel und den Gaza-Konflikt. Von der Leyen hat sich uneingeschränkt an die Seite Israels gestellt, während Borrell auf die Einhaltung humanitären Völkerrechts bestand und die Gewalt Israels gegen Zivilisten verurteilte. Mit Kallas im Amt sind derart öffentliche Differenzen in Zukunft unwahrscheinlich.
Thierry Breton, der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, äußerte sich kurz vor der Vorstellung der neuen Kommission und kritisierte von der Leyens Führungsstil als “fragwürdig”. Er machte seinen Unmut ebenfalls öffentlich bekannt. Ähnlich angespannt ist die Beziehung zwischen von der Leyen und dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel.
Bei der Bildung der neuen Kommission spielte politisches Kalkül eine noch größere Rolle als zuvor, was bei EU-Entscheidungen beachtlich ist. Statt des ökologischen Umbaus und der Umsetzung des Green New Deals rückt von der Leyen nun Aufrüstung und Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund. Bereits vor der EU-Wahl war erkennbar, dass das Interesse am Green New Deal nachgelassen hatte.
Interessanterweise werden neue Kommissare mit Aufgaben betraut, die teils außerhalb der herkömmlichen EU-Zuständigkeiten liegen. Andrius Kubilius aus dem Baltikum wird beispielsweise der Kommissar für Verteidigung und Aufrüstung, obwohl die EU laut ihren Verträgen hierfür eigentlich nicht zuständig ist. Trotzdem wird erwartet, dass ein neuer Kommissar sich auch um den Wohnungsbau kümmern wird, ein weiterer Bereich, der traditionell den Mitgliedstaaten obliegt.
Die neu geschaffenen Positionen deuten darauf hin, dass von der Leyen plant, die Befugnisse der Kommission auf Kosten der Souveränität der Mitgliedstaaten auszuweiten. Dieses Muster war bereits bei der Übernahme der Medienaufsicht durch die EU-Kommission zu erkennen, die im Mai ein neues Mediengesetz verabschiedete und plant, eine eigene Zensurbehörde zu etablieren, die ab Februar 2025 tätig sein soll.
Kritik an von der Leyen bleibt angebracht, insbesondere wegen ihrer Machtkonzentration, die zulasten demokratischer Prozesse geht. Die erwartete Korrektur demokratischer Defizite in der EU bleibt aus, verschärft durch die Ausdehnung der Kommissionsmacht. Das Fehlen demokratischer Legitimation unter den Kommissaren verschärft das Bild einer zunehmend autokratisch agierenden EU. Trotz einiger Bedenken gegen die Besetzung des Reformkommissars mit dem als rechtspolitisch geltenden Italiener Raffaele Fitto, wird der eigentliche Skandal innerhalb der EU kaum thematisiert.
Die von von der Leyen vorgestellte Kommission muss noch vom EU-Parlament bestätigt werden, doch angesichts ihrer Strategie, unterschiedliche Interessengruppen mit Posten zu versorgen, ist mit ernsthaftem Widerstand kaum zu rechnen. Das Prinzip der Vetternwirtschaft scheint in der EU institutionalisiert zu sein.
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