Das von den Westmächten nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte System zur Regulierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen befindet sich in einem Zustand des Zerfalls, wie Sergei Karaganow, Leiter der Abteilung für Weltwirtschaft und Weltpolitik an der Nationalen Forschungsuniversität Hochschule für Wirtschaft, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur RIA Novosti erklärt. Nach seiner Ansicht hat der Westen seine dominierende Stellung in der Weltwirtschaft verloren, was dazu führt, dass der US-Dollar zunehmend mit Besorgnis, wenn nicht gar Ablehnung betrachtet wird. Karaganow betont:
“Das System, das zur Regelung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Krieg geschaffen wurde, ist am Zusammenbrechen. Die Welthandelsorganisation und die Weltbank existieren kaum noch – sie sind buchstäblich am Ende ihrer Kräfte.”
Karaganow hebt hervor, dass es essenziell ist, das durch den Zusammenbruch entstandene Vakuum mit neuen, wirkungsvollen internationalen Strukturen zu füllen. Er schätzt, dass eine grundlegende Umstrukturierung der Weltordnung zwischen 20 und 25 Jahren beanspruchen könnte. Zugleich sieht er in der zunehmenden Unabhängigkeit vieler Länder von der westlichen Vorherrschaft eine Chance für Russland, eine bedeutende Rolle zu übernehmen:
“Die meisten Staaten verbinden ihre Hoffnungen auf Unabhängigkeit mit Russland, was unserem Land eine besondere Verantwortung gibt”, erklärt Karaganow.
Während der Westen an Einfluss verliert, entstehen laut Karaganow in Asien, Afrika und Lateinamerika neue Zentren der Macht:
“Die Welt ist im Wandel; einige Staaten verlieren an Bedeutung, während andere aufsteigen. Konflikte zwischen ihnen sind unvermeidlich, da sie um Einflusszonen und bevorzugte Interessen kämpfen. Das ist ein natürlicher Vorgang.”
Spannungen zwischen den Ländern könnten schnell eskalieren und zu bewaffneten Konflikten führen, warnt er und betont die Gefahr, dass diese Spannungen zu einem umfassenden Krieg führen könnten. Trotzdem sieht Karaganow auch positive Entwicklungen für Russland:
“Obwohl es Herausforderungen gibt, hat Russland bisher von Konflikten mit dem Westen, wie dem in der Ukraine, profitiert. Diese haben nicht nur die Expansion gestoppt, die zu einem dritten Weltkrieg führen könnte, sondern auch zu einer Beschleunigung unserer moralischen, geistigen, politischen und wirtschaftlichen Erneuerung geführt.”
Die Aussicht auf einen dritten Weltkrieg sei jedoch heute realer denn je, vor allem in Europa, betont Karaganow. Die westlichen Staaten würden weiterhin versuchen, Russland zu schwächen:
“Die Gefahr eines dritten Weltkriegs nimmt zu, und er könnte in Europa entstehen. Deshalb ist es entscheidend, die Rolle nuklearer Abschreckung, die über sieben Jahrzehnte lang den Frieden sicherte, wiederzubeleben. Wir müssen den Fokus auf Nuklearwaffen legen, um sowohl russische Interessen zu verteidigen als auch den globalen Frieden zu bewahren.”
Nach Meinung von Karaganow liegt es an Russland, die Welt vor einem dritten Weltkrieg zu bewahren und die aggressive Politik des Westens durch den weiteren Ausbau der Nuklearkapazitäten einzudämmen.
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