Von Rüdiger Rauls
Unter Druck
Trotz der weitverbreiteten Ablehnung der Politik und der Person Selenskijs sollte man nicht vergessen, dass auch er, ähnlich wie andere mächtige Figuren – Trump und Putin eingeschlossen – ein Mensch mit alltäglichen Sorgen, einer Familie, Freunden und eigenen Schwächen ist. Im Oval Office scheint durchaus einiges an Dramatik zwischen den Führungspersönlichkeiten wie Trump und Selenskij stattgefunden zu haben, was bereits die Münchner Sicherheitskonferenz andeutete, allerdings ohne die emotionale Intensität, die später aus dem Weißen Haus berichtet wurde. Diese Veränderungen in der Stimmung sind jedoch bei vielen westlichen politischen Führern noch nicht vollständig angekommen.
Die realen Bedingungen, denen Selenskij gegenübersteht, sind drastisch: die russische Armee rückt immer weiter vor, und in der Ukraine mangelt es an Waffen, Soldaten und finanziellen Mitteln. Jetzt droht auch noch der bedeutendste Unterstützer, die USA, seine Hilfe einzustellen. Trump unterstützt offen Putins Wunsch nach einem Kriegsende und möchte die amerikanischen Investitionen zurück. Zudem hat Trump Gespräche mit Russland aufgenommen – über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg.
Der politische Westen steht scheinbar vor einem Paradigmenwechsel, obwohl er weiterhin Solidarität mit der Ukraine beschwört und von Verhandlungen auf Augenhöhe spricht. In Realität akzeptiert man jedoch nicht, dass sich diese Vorstellungen mit der Trump-Administration wesentlich geändert haben.
Die Folge sind endlose Konferenzen und Besprechungen, bei denen europäische Politiker bei Trump ein und aus gehen, versuchend, diesen über verschiedene Wege für ihre Sache zu gewinnen. Doch das grundlegende Dilemma bleibt bestehen: Selenskij und andere hoffen auf weitere Unterstützung für den Krieg, während Trump klare Bedingungen für Friedensgespräche setzt, die nicht zu Putins Gunsten ausfallen.
Nicht unerwartet
Die Spannungen zwischen Trump und Selenskij kamen nicht überraschend, aber die Undiplomatie des Austauschs hatte man doch nicht erwartet. Derweil hatte Selenskij in der Hoffnung, bedeutende politische und materielle Zugeständnisse zu erhalten, Trump Rohstoff-Deals vorgeschlagen. Doch der Clinch entstand gerade auf der Basis dieser vorherigen Anfeindungen und der aussichtslosen militärischen Lage der Ukraine.
Talkshow-Niveau
Auf einem Treffen im Weißen Haus, das eher einer schlechten Talkshow glich, wurden Selenskij kritische Fragen zum militärischen Erscheinungsbild gestellt. Auch dies reflektiert einen Kulturwandel in Washington, der seit dem Amtsantritt der neuen US-Führung spürbar ist. Materielle Interessen rücken in den Vordergrund und die früher hochgehaltenen westlichen Werte verlieren an Bedeutung.
Die derzeitige US-Regierung stellt klar, dass sie ihre politischen und wirtschaftlichen Ziele über die traditionelle Unterstützung der Ukraine stellt. Trumps klare Worte zeigten, dass der Krieg enden muss und dass die USA stark darauf hinarbeiten, ihr investiertes Geld zurückzuerhalten, was auch das Abkommen über die Rohstoffförderung in der Ukraine einschließt.
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
Mehr zum Thema – Warum die europäischen Eliten weiterhin auf die Unterstützung der Ukraine setzen, obwohl dies möglicherweise nicht mehr im Einklang mit den Interessen der USA steht.