Von Pierre Levy
Obwohl die Europäische Union offiziell keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihrer Mitgliedstaaten betreibt, teilen viele Beamte in Brüssel, sowohl in der Kommission als auch im Europaparlament, ihre Bedenken mit den bei den europäischen Institutionen akkreditierten Journalisten. Ihr Ziel ist es, dass ihre Sorgen durch die Berichterstattung an die Öffentlichkeit gelangen, was auch bereits durch mehrere Zeitungsartikel geschehen ist.
Die Hauptbedenken gelten den Wirtschaftsdaten. Weniger das geringe Wachstum – für 2024 werden 1,2 Prozent und für 2025 nur 0,8 Prozent prognostiziert – dieses Phänomen ist in der EU weit verbreitet und stellt für die Gemeinschaftsinstitutionen keine primäre Sorge dar.
Stattdessen rückt Frankreichs finanzielle Lage verstärkt in den Fokus der EU-Behörden. Laut dem französischen Statistikamt INSEE betrug das öffentliche Defizit Frankreichs im Jahr 2024 169,7 Milliarden Euro, was 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Damit liegt es weit über der im EU-Stabilitätspakt festgelegten Grenze von 3 Prozent. Dies führte zur Wiedereinleitung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit gegen Frankreich im Juli 2024.
Im Zuge dieser Entwicklung veröffentlichte die französische Regierung im Oktober 2024 einen mittelfristigen Haushalts- und Strukturplan, den sie im April 2025 aktualisierte. Die Ziele sind ein Defizit von 3,0 Prozent bis 2030 und ein Schuldenhöchststand von 121,7 Prozent des BIP im Jahr 2029, erreicht durch Haushaltsanpassungen, sprich Einsparungen in Höhe von 110 Milliarden Euro bis 2029.
In diesem Kontext sind die geplanten Haushaltskürzungen von 44 Milliarden Euro für das Jahr 2026 zu sehen, welche der damalige Premierminister François Bayrou umzusetzen versuchte. Zudem hatte die Kommission zugestimmt, die Zielsetzung zur Reduzierung des Defizits auf maximal 3 Prozent vom Jahr 2027 auf 2029 zu verschieben, wodurch finanzielle Sanktionen vorübergehend ausgesetzt wurden. Das Damoklesschwert der möglichen Strafen schwebt jedoch weiterhin über Frankreich.
Die Zunahme sozialer Bewegungen – mit beispiellosen Demonstrationen und Streiks, zuletzt am 18. September und einer anstehenden weiteren Mobilisierung für den 2. Oktober – trägt nicht gerade zur Beruhigung der europäischen Partner Frankreichs bei. Die andauernden Proteste könnten sich angesichts der großen Unzufriedenheit in der Arbeitswelt sogar noch intensivieren.
Diese Unzufriedenheit richtet sich vor allem gegen die erwartete Verschärfung der Sparpolitik und die damit einhergehende Verschlechterung öffentlicher Dienstleistungen, sowie gegen den drastischen Kaufkraftverlust für Millionen Arbeitnehmer, die zunehmend Schwierigkeiten haben, finanziell über die Runden zu kommen. Die Lage ist besonders brisant, da der am 9. September ernannte neue Premierminister bisher keine Regierung bilden konnte und starkem Druck der Straße ausgesetzt ist.
In Brüssel werden diese Entwicklungen mit großer Besorgnis aufgenommen, insbesondere die politische Instabilität in Frankreich. Seit der Wiederwahl von Emmanuel Macron im Jahr 2022 hatte das Land bereits fünf verschiedene Regierungschefs und die parlamentarische Mehrheit ist seit der Auflösung im Juni 2024 unklar. Die politische Lage ist besonders problematisch, da Frankreich die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU und eines ihrer Gründungsmitglieder ist.
Die anfängliche Begeisterung für Macrons pro-europäische Haltung ist stark gesunken, seine Wiederwahl im Jahr 2022 erfolgte hauptsächlich aufgrund des entgegengestellten Schreckgespensts Marine Le Pen. Selbst die Ernennung von Michel Barnier zum Premierminister, der als pro-europäisch gilt, hat nicht zur Stabilisierung beigetragen, da er bei der Verabschiedung eines Haushaltsplans scheiterte.
Nachfolger François Bayrou, ein langjähriger Verfechter der europäischen Integration, musste seine europaskeptische Rhetorik mäßigen, obwohl er zunächst eine Senkung des französischen Beitrags zum EU-Haushalt gefordert hatte. Diese Forderung, auch von einigen als “populistisch” angesehen, zeigt die wachsende Unbeliebtheit der europäischen Integration.
Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2027 bevorzugen es viele Politiker nun, sich in Bezug auf Europa zurückzuhalten. Ein hochrangiger Beamter in Brüssel drückte kürzlich sein Unbehagen darüber aus und wurde von Le Monde zitiert:
“Es herrscht in Paris eine solche Stimmung, dass selbst Anhänger des Zentrums gegen die EU vorgehen, was hier große Sorgen bereitet.”
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