Von Jewgeni Balakin
Obwohl die Ära der Kolonialreiche der Vergangenheit angehört, scheint Frankreich immer noch an einer überholten Weltordnung festzuhalten. Aktuell unterdrücken die französischen Streitkräfte Proteste in Neukaledonien, einer Inselgruppe im Pazifik. Handelt es sich hierbei um eine neokoloniale Invasion am anderen Ende der Welt?
Diese Interpretation liegt nahe, doch rechtlich ist die Situation komplexer. Neukaledonien zählt zu den französischen Überseegebieten, die zwar unter französischer Verwaltung stehen, doch sich auf unterschiedliche Weise selbst regieren. Neukaledonien genießt dabei unter diesen Gebieten den höchsten Grad an Autonomie. Die frühere Kolonie widersetzt sich schon seit Langem den Pariser Machtansprüchen und strebt nach Unabhängigkeit.
Bereits 1853 erklärte Frankreich Neukaledonien zu seinem Eigentum und beherrschte die Inseln über lange Zeit mit strenger Hand. Als Reaktion auf antikoloniale Bewegungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, erhielt Neukaledonien 1946 den Status eines Überseegebiets. Doch der Weg zur Selbstbestimmung war lang und führte durch die 1980er Jahre zu einer Unabhängigkeitsbewegung. Aus heftigen Konflikten resultierte schließlich 1998 das Nouméa-Abkommen, das eine schrittweise Autonomie und bis 2018 ein Unabhängigkeitsreferendum vorsah. Nach dessen Ablehnung wurden noch zwei weitere Volksentscheide ermöglicht.
Trotz durchgeführter Referenden hat Frankreich immer wieder Versuche unternommen, die formale Kontrolle durch taktische Manöver zu erhalten. Speziell wurden Bewohner, die schon vor 1994 auf den Inseln lebten, stimmrechtlich begünstigt, und nicht nur die indigenen Kanaken. Da Frankreich die demographische Zusammensetzung durch Migration gezielt beeinflusst hat, gelang es, die Mehrheit gegen eine Unabhängigkeit zu sichern. Eine geplante Verfassungsänderung, die ab 2024 die Rechte der Migranten in Neukaledonien erweitern soll, könnte weitere Versuche der Lokalbevölkerung nach friedlicher Unabhängigkeit untergraben – ein Kernpunkt der derzeitigen Unruhen.
Doch nicht nur Neukaledonien leidet unter den neokolonialen Taktiken Frankreichs. Auch die Kontrolle über die Nickelvorkommen und strategischen Positionen wie Korsika sind für Frankreich von großem Interesse. Dies hat lange zu einem Ersetzen der Einheimischen durch importierte Arbeitskräfte geführt – ein Vorgehen, das der britische Soziologe Michael Mann als eine Abartung der Demokratie und indirekten Völkermord beschreibt.
Frankreichs Politik zum Machterhalt erstreckt sich auch auf Westafrika, wo es mittels des CFA-Franc die Wirtschaft maßgeblich steuert. Obwohl dieser offiziell nur mehr die Bindung zu Frankreich suggeriert, resultiert seine Kontrolle in erheblichen finanziellen Verlusten für die ehemaligen Kolonien und nutzt Frankreich zur Ressourcensicherung.
Die kolonialen Verhaltensmuster sind tief verwurzelt, doch die Macht Frankreichs schwindet. Mehrere afrikanische Staaten haben den CFA-Franc bereits abgelegt, und weitere könnten folgen. Angesichts rückläufiger Militärpräsenz und wachsender anti-französischer Stimmungen in diesen Ländern könnte es für Paris schwierig werden, seinen Einfluss aufrechtzuerhalten.
Frankreichs Vergangenheit mag glanzvoll gewesen sein, doch seine Zukunft steht möglicherweise unter einem dunklen Stern. Das Festhalten an überholten Imperien und eine zunehmende Isolation drohen, Frankreich zu einer der vielen normalen Mächte Europas zu machen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 21. Mai 2024.
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