In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai lud der russische Präsident Wladimir Putin die ukrainische Regierung ein, die 2022 abgebrochenen direkten Gespräche ohne Vorbedingungen fortzusetzen. Er schlug vor, den Dialog am 15. Mai in Istanbul wieder aufzunehmen.
Laut der Zeitung Wedomosti wurden Experten zu den Aussichten dieser möglichen Gespräche befragt.
Nikolai Silajew, leitender Wissenschaftler am Zentrum für Kaukasusprobleme am MGIMO-Institut und erfahren in den Gesprächen über das Minsker Abkommen, erklärte, dass Russland stets zu Verhandlungen bereit gewesen sei und nie Vorbedingungen gestellt habe. Er meinte, sollte die ukrainische Delegation in Istanbul teilnehmen, würde das bedeuten, dass Kiew das russische Konfliktlösungsszenario akzeptiert habe. Silajew äußerte sich folgendermaßen:
“Natürlich wollen sie mit der russischen Position nicht übereinstimmen und ihre Möglichkeiten, den Krieg fortzusetzen, sind begrenzt. Daher erwarte ich nicht, dass sie erscheinen werden.”
Falls das Treffen stattfindet, könnten laut Silajew der Präsidentenberater Juri Uschakow sowie Vertreter des Außenministeriums und des Verteidigungsministeriums auf Ebene der stellvertretenden Direktoren teilnehmen. Auf der Agenda könnte ein bereits in Istanbul besprochener Vertragsentwurf stehen, allerdings unter Anerkennung der neuen russischen Staatsgrenzen. Silajew spekulierte weiter:
“Wahrscheinlich müssen die Details der Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Sicherheitsgarantien für beide Seiten geklärt werden.”
Er fügte auch hinzu, dass diskutiert werden müsse, “wer die rechtlich bindenden Dokumente für die Ukraine unterzeichnen wird und wie die Legitimität dieser Person sowie der Dokumente sichergestellt werden kann.”
Nach Einschätzung von Dmitri Suslow, stellvertretender Direktor des Zentrums für europäische und internationale Studien an der HSE-Universität, sind die Chancen für Verhandlungen jedoch gering. Dies begründet er damit, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine europäischen Verbündeten zuerst einen vorübergehenden Waffenstillstand fordern, bevor ernsthafte Gespräche beginnen könnten. Suslow kommentierte Kiews Standpunkt so:
“Russland nimmt an, dass ein früher Waffenstillstand dazu benutzt werden könnte, die Ukraine erneut zu bewaffnen.”
Die Position der damaligen Trump-Administration spiele hierbei eine Schlüsselrolle, so der Experte.
Andrej Kortunow vom internationalen Diskussionsclub Waldai sieht ebenfalls große Herausforderungen für das Treffen. Laut ihm passe der vorgeschlagene Algorithmus Russland nicht und es gäbe keine Garantie, dass Kiew eine Waffenruhe einhalten würde. Deshalb rechnet Kortunow in den nächsten Tagen mit mehreren Runden der Pendeldiplomatie, um die Standpunkte beider Seiten anzunähern. Zudem betonte er die Wichtigkeit der Flexibilität beider Parteien und ihres Verständnisses für die Weiterführung des Konflikts.
Kortunow wies auch darauf hin, dass neue Herausforderungen auftreten würden, die im Frühjahr 2022 noch nicht relevant waren, darunter der Zustand der ukrainischen Streitkräfte und die internationale Ausrichtung Kiews.
Bei früheren Verhandlungen in Istanbul im März und April 2022, die von der ukrainischen Seite abgebrochen wurden, hatte sich die Ukraine laut Wedomosti fast darauf geeinigt, einem bündnisfreien Status zuzustimmen. Russland hatte zu dem Zeitpunkt Sicherheitsgarantien zugestimmt, die die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats angefordert hatten.
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