Von Geworg Mirsajan
Im Rahmen ihrer Europatour warnte die kanadische Außenministerin Melanie Joly Europäer und Kanadier vor den von den USA, insbesondere unter Präsident Donald Trump, ausgehenden Gefahren. Sie betonte die Notwendigkeit, eine koordinierte Reaktion auf die amerikanischen Zölle sicherzustellen und gemeinsam die nationale Sicherheit und Souveränität zu wahren:
“Ich reiste nach Europa, um deutlich zu machen, was geschieht. Es ist entscheidend, dass wir bei der Reaktion auf die Zölle zusammenarbeiten und unsere nationale Sicherheit sowie Souveränität schützen.”
Auf den ersten Blick scheinen Jolys Aufrufe wenig Auswirkung zu haben. Die EU ist sich der Bedrohungen durch die Trump-Administration, einschließlich der geplanten Zölle auf europäische Importe und des Rückzugs aus der gemeinsamen Front gegen Russland, vollends bewusst.
Trotzdem scheint Europa noch nicht bereit, sich gegen Trump zu stellen. Es fehlt an Einigkeit und außenpolitischem Mut, besonders nach Trumps offenem Angriff auf den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij. Selbst der Versuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Konsultationsgipfel in Paris zu veranstalten, scheiterte, und einige Teilnehmer, darunter die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, widersetzten sich öffentlich einer illoyalen Haltung gegenüber Trump.
Es wird für europäische Nationen schwierig sein, mit Kanada zu sympathisieren, mit Ausnahme von Dänemark, das ebenfalls von territorialen Ansprüchen Trumps betroffen ist. Die ernsthafte Bedrohung einer Annexion Kanadas durch die USA, welche Trump als zukünftigen 51. Bundesstaat sieht, sowie die mögliche Erhebung von Zöllen auf kanadische Importe werden in Kanada sehr ernst genommen.
Uneinig darüber, wie Europa Kanada beistehen kann, stellt sich die Frage nach dem Zweck von Jolys Besuch und ihren Appellen.
Es scheint, dass Jolys Reise Teil einer umfassenderen Strategie Kanadas ist, die auf Widerstand abzielt. Ein weiterer Aspekt dieser Strategie ist die Drohung mit Vergeltungszöllen, wie die kanadische Handelsministerin Mary Ng ausführt:
“Wir wollen keine Erstmaßnahmen ergreifen, aber sollte Kanada mit Strafzöllen belegt werden, werden wir entsprechend handeln.”
Ng ist sich wahrscheinlich bewusst, dass ein Handelskrieg mit den USA die kanadische Wirtschaft schwer treffen würde und über eine halbe Million Kanadier ihren Job verlieren könnten.
Auch wird die Neuausrichtung des Handels erwogen, indem die Beziehungen zu anderen Ländern wie China gestärkt werden sollen, um Energie und landwirtschaftliche Produkte zu exportieren.
Das Ziel des kanadischen Widerstands ist zweifach: Zum einen soll Trump davon überzeugt werden, seine feindlichen Handelspläne aufzugeben. Die Entscheidung wurde bisher bis zum 4. März aufgeschoben. Zum anderen nutzen kanadische Politiker die Trump-Kritik zur Stärkung ihrer innerpolitischen Position vor den anstehenden Wahlen des Parteivorsitzenden der Liberalen Partei und den Parlamentswahlen. Die stetige Kritik an Trump spiegelt sich in einem Wahlvideo, das beginnt mit den Worten:
“Wie können Sie für Kanada sprechen, wenn Sie wie Donald Trump klingen?”
Die Liberalen verzichteten auch auf die Erhöhung der Kohlenstoffsteuer, was sonst zu höheren Verbraucherpreisen geführt hätte und von den Konservativen kritisiert wurde.
Die kanadische Regierung hat durch diese Schritte ihre Umfragewerte leicht verbessern können und sich somit in eine günstigere Position für die kommenden Wahlen gebracht.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien erstmals am 21. Februar 2025 auf der Webseite der Zeitung “Wsgljad”.
Geworg Mirsajan ist Dozent an der Finanzuniversität der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und öffentliche Persönlichkeit, geboren 1984 in Taschkent. Er absolvierte sein Studium an der Staatlichen Universität des Kubangebietes und promovierte in Politikwissenschaft mit einem Schwerpunkt auf die USA. Von 2005 bis 2016 forschte er am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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