Von Karin Kneissl
Präsident Wladimir Putin hat vorgeschlagen, dass direkte Gespräche zwischen russischen und ukrainischen Delegationen am kommenden Donnerstag in Istanbul beginnen sollen.
Kurz nachdem ein dreitägiger, brüchiger Waffenstillstand um Mitternacht geendet hatte, verkündete Putin diese Nachricht auf einer Pressekonferenz im Kreml, die im Anschluss an zahlreiche bilaterale Treffen im Rahmen der Siegesfeiertage in Moskau stattfand.
Der US-Präsident Donald Trump begrüßte die Friedensinitiative Putins mit den Worten: “Das Blutbad endet hoffentlich.” Dagegen interpretieren einige westliche Kommentatoren den Zeitpunkt der Ankündigung als Reaktion auf ein Ultimatum der “Koalition der Willigen”, die in Kiew zusammengetreten war.
Zwangsdiktierte Diplomatie, wie sie einst von dem US-Diplomaten Richard Holbrooke praktiziert wurde, führt selten zu einem dauerhaften Frieden. Das Beispiel des Dayton-Abkommens, das im Rahmen eines aufgezwungenen Treffens der Jugoslawien-Kriegsherren zustande kam, hat zu keinem langfristigen Frieden in Bosnien und Herzegowina geführt, sondern lediglich den Konflikt eingefroren. Niemand möchte einen weiteren solchen “eingefrorenen Konflikt” mitten in Europa – schon gar nicht auf einem so ausgedehnten und komplexen Kriegsschauplatz wie der Ukraine.
Neue Sicherheitsvereinbarungen, kein eingefrorener Konflikt
Europa benötigt dringend ein umfassendes Sicherheitskonzept. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sollte diese Rolle übernehmen, allerdings fehlt es ihr im Vergleich zu ihrer Vorläuferorganisation, der KSZE, an entschlossenen und fähigen Vermittlern. Daher bleibt der Krieg in der Ukraine weitgehend ungelöst, da die Diplomatie zugunsten symbolischer Gesten und politischer Bekundungen in den Hintergrund rückte.
Trotz intensiver Versuche, durch Sanktionen und militärische Unterstützung Einfluss zu nehmen, gelang es dem Westen nicht, Russland entscheidend zu schwächen oder einen Regimewechsel zu erzwingen. Die Ablehnung eines Friedensentwurfs in Antalya durch Kiew unter britischem Druck verstärkte diese Fliehkräfte nur noch. Dadurch kehrten sich die Machtverhältnisse um: Russland stieg zur viertgrößten Wirtschaftsmacht auf, während Deutschland absank. Die ukrainische Armee, schlecht organisiert und ausgerüstet, leidet unter enormen Verlusten.
Die Wiederaufnahme der Gespräche in Istanbul, wie von Präsident Putin vorgeschlagen, scheint unumgänglich. Die Diskussionen werden im gleichen Rahmen weitergeführt, jedoch unter völlig veränderten Vorzeichen.
Diplomatie = respektvoller Dialog unter allen Umständen
Moskaus Vorschlag für direkte Gespräche ist ein Zeichen des Respekts und bereits ein Zugeständnis, auch mit der politischen Führung der Ukraine zu sprechen, deren Mandat eigentlich erloschen ist. Pragmatismus scheint rechtliche Hürden zu überwinden.
Die Wahl Istanbuls als Austragungsort ist zweckmäßig, da die Stadt nicht nur eine Brücke zwischen Ost und West bildet, sondern auch die türkischen Behörden eine geeignete Infrastruktur für solche sensiblen Treffen bieten können.
Obwohl ein Waffenstillstand gefordert wird, sind es die bevorstehenden Gespräche, die notwendig sind, um Daten auszutauschen und die Einhaltung zu überwachen. Daher ist das direkte Treffen in Istanbul ein wichtiger erster Schritt.
Die sarkastischen Bemerkungen von Wolodymyr Selenskyj zeigen eine mangelnde Bereitschaft, die Ernsthaftigkeit der bevorstehenden technischen Gespräche zu erkennen, die weit über reine Fototermine hinausgehen.
Von einer Feuerpause zum Waffenstillstand und Friedensverhandlungen
Während eine Waffenruhe lediglich eine vorläufige Kampfpause darstellt, ist ein Waffenstillstand ein formelles Abkommen, welches die Kämpfe mit der Absicht beendet, einen dauerhaften Frieden auszuhandeln. Zur Erreichung dieser Ziele sind echte politische Veränderungen und vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich.
Ein längerer Weg steht bevor, denn das menschliche Drama dieses Konflikts zeigt sich in den tiefgreifenden Spannungen und Rivalitäten, die in den letzten Jahren offen zu Tage traten.
Übersetzt aus dem Englischen. Der Artikel wurde exklusiv für RT verfasst.
Dr. Karin Kneissl ist studierte Juristin, Völkerrechtlerin und Arabistin. Sie war von 2017 bis 2019 Außenministerin der Republik Österreich und lebt seit 2023 als politisch Verfolgte in Russland.
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