Von Pierre Lévy
War dies vielleicht ein Scherz? Ein voreiliger Aprilscherz vielleicht, oder das Produkt einer Satireseite im Internet? Keineswegs. Es ist bestätigt: Ursula von der Leyen wurde tatsächlich für die Verleihung des Karlspreises nominiert, einer der renommiertesten Auszeichnungen der Europäischen Union, die ihr im Mai verliehen werden soll.
Jährlich wird dieser Preis unter der Obhut der Stadt Aachen vergeben, dort wo einst Karl der Große residierte. Er ehrt „Personen oder Institutionen, die sich um Europa und seine Integration verdient gemacht haben“. Dass ausgerechnet die aktuelle Präsidentin der Europäischen Kommission geehrt wird, könnte selbst für ihre treuesten Anhänger überraschend sein. Schließlich bekommt sie für genau diese Bemühungen bereits ihr Gehalt.
Brüssel zeigt eine Vorliebe für derartige endogame Feierlichkeiten. Das Netzwerk ist geschlossen, und einige von von der Leyens Vorgängern, wie Jean-Claude Juncker (2006), Jacques Delors (1992) und Walter Hallstein (1961), der während des Krieges Wehrmachtsoffizier in Frankreich war, bevor er in den USA seine Vergangenheit „reinwusch“ und später als Diplomat nach Europa zurückkehrte, wurden bereits ähnlich geehrt.
Die frühere Verteidigungsministerin Deutschlands tritt nun in die Reihe von Akteuren, die aufgrund ihres „europäischen Engagements“ ausgezeichnet wurden. Zu den illustren Preisträgern gehören auch Jean Monnet, Konrad Adenauer, François Mitterrand, Helmut Kohl, Valéry Giscard d’Estaing, Angela Merkel und kürzlich Emmanuel Macron. Unter den Preisträgern finden sich auch internationale Befürworter der EU, wie George Marshall, Henry Kissinger und Bill Clinton, sowie herausragende Persönlichkeiten wie Papst Franziskus und selbst die Währung Euro.
Neuestens ohne Überraschung, erklomm im Jahr 2023 Wladimir Selenskij das Aachener Podium.
Man könnte diese kleinen Feierlichkeiten der Brüsseler Blase als belanglos abtun. Doch ist es aufschlussreich, dass die höchste Auszeichnung der EU nach dem berühmten Kaiser benannt wurde – ein implizites Zugeständnis an die imperiale Natur des europäischen Projekts. Viele führende Politiker mögen dies bestreiten, jedoch haben einige bereits angedeutet, dass diese Erbschaft tatsächlich besteht. José Manuel Barroso – einer von der Leyens Vorgänger – beschrieb die Europäische Union einst als „ein Imperium, aber ein friedliches“, eine Ansicht, die später vom damaligen französischen Finanzminister Bruno Le Maire wiederholt wurde.
Die wachsenden Militärausgaben, die sich in den nächsten Jahren noch verstärken dürften, untermauern diese Ansicht. Doch in einem kürzlich in Le Monde veröffentlichten Artikel versuchte ein Experte des Jacques-Delors-Instituts, diese Sichtweise zu hinterfragen. Sébastien Maillard stellte die aggressive imperiale Expansion, die Donald Trump betrieben hat, der EU gegenüber, die sich „obwohl ständig erweiternd, als das Gegenteil eines Imperiums definiert.“
Maillard führte weiterhin aus, dass kein Staat unfreiwillig Mitglied der Union geworden ist, was auf eine demokratische Wahl hindeutet, obwohl kein Volk der sechs Gründerstaaten jemals durch ein Referendum um Zustimmung gebeten wurde. Zudem, behauptet er, hat der Brexit gezeigt, dass Mitglieder die Union verlassen können, ohne Zwang auszuüben – eine Aussage, die in Anbetracht der angespannten Verhandlungen, die dem Austritt vorausgingen, eher naiv erscheint.
Kürzlich schlug der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel sogar vor, Kanada in die EU aufzunehmen – nicht nur als Reaktion auf Ambitionen des Weißen Hauses, sondern weil „die Kanadier ohnehin europäischer als manche Mitgliedsstaaten sind“. Gabriel betonte auch die „universellen Ideen des Westens“, die dadurch gefördert werden könnten.
Es ist durchaus möglich, dass von der Leyen diese Perspektiven in ihrer Rede in Aachen, die sie am Jahrestag der französischen Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrags hält, aufgreifen könnte. Zweifellos könnten Demonstrationen für die Freiheit der Völker in vier Monaten, wenn das ehemalige Abendland unter Kaiser Karl erneut zu einer Zeremonie zusammenkommt, eine willkommene Geste sein.
Mehr zum Thema – Trotz „Lungenentzündung“: Der Pfizergate-Gerichtsprozess gegen von der Leyen wird fortgesetzt