Europawahlen 2024: Eine Analyse der politischen Verschiebungen und nationalen Unterschiede

Von Pierre Levy

Nachdem Emmanuel Macron die Auflösung der französischen Nationalversammlung verkündet hatte, gerieten die Diskussionen über die Ausgänge der Wahlen zum Europäischen Parlament in den 27 EU-Mitgliedsstaaten vorübergehend ins Hintertreffen. In Deutschland forderten führende Politiker den Bundeskanzler dazu auf, Macrons Beispiel zu folgen, da auch die von ihm angeführte Dreierkoalition in Berlin (Sozialdemokraten, Grüne, Liberale) eine ähnliche Niederlage erlebt hatte. Olaf Scholz lehnte diesen Vorschlag jedoch ab.

Die Auflösung der Nationalversammlung unterstrich die Tatsache, dass es keine einheitliche politische Landschaft in Europa gibt, da es keine gemeinsame europäische Nation gibt. Zwischen dem 6. und 9. Juni wurden 27 unterschiedliche nationale Wahlen abgehalten, auch wenn sie alle das Ziel hatten, Abgeordnete ins Europaparlament in Straßburg zu senden.

Einmal in Frankreich der politische Knall vorüber, nahmen die Kommentatoren ihre Analyse der verschiedenen Wahlen wieder auf und betrachteten die Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Fraktionen im Europäischen Parlament. Dieses wird traditionell von einer Koalition aus der rechten (Europäische Volkspartei, EVP) und linken (Sozialdemokraten, SD) Seite dominiert, unterstützt seit 2019 von den Liberalen. Dies dürfte sich voraussichtlich nicht ändern.

Dessen ungeachtet wird behauptet, dass besonders die EVP-Fraktion gestärkt aus den Wahlen hervorgehen könnte. Nach aktuellen Schätzungen könnte sie über 189 Sitze verfügen, ein leichter Zuwachs im Vergleich zur vorigen Legislaturperiode. Dieser vermeintliche Gewinn ist jedoch tatsächlich das Ergebnis gegenläufiger Entwicklungen in verschiedenen Ländern.

Einige EU-weite Trends sind jedoch erkennbar, enthalten aber Ausnahmen. Der herausstechendste ist die nach wie vor hohe Wahlenthaltung. Die Wahlbeteiligung ist von 50,7 Prozent in 2019 auf 51 Prozent in 2024 leicht gestiegen. Dabei bleibt bemerkenswert, dass im Durchschnitt jeder zweite EU-Bürger nicht zur Wahl ging. In einigen Ländern, wie Belgien und Bulgarien, wo am selben Tag auch nationale Wahlen stattfanden, war die Wahlbeteiligung entsprechend höher.

In eine andere Richtung ging die sogenannte “Grüne Welle”, deren Erfolg 2019 in nur sieben der damaligen 28 EU-Staaten bemerkbar war. Dieses Mal fuhren die deutschen Grünen beträchtliche Verluste ein.

Auffällig ist auch der Zuwachs rechtsextremer Parteien, trotz unterschiedlicher Bedingungen und Strategien. Besonders in Frankreich konnte der Rassemblement National zulegen, während in Deutschland die AfD bemerkenswerte Erfolge erzielte.

Zusätzlich trat die neu gegründete BSW-Bewegung in Deutschland hervor, die von Sahra Wagenknecht, einer früheren Politikerin der Partei Die Linke, ins Leben gerufen wurde. Ihr gelang es, auf Anhieb 6,2 Prozent der Stimmen zu gewinnen.

In Österreich überholte die FPÖ mit 25,4 Prozent der Stimmen ihre Konkurrenten, während in Italien Giorgia Meloni mit der Partei Brüder Italiens den Großteil der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte und gegenüber 2019 um 20 Prozentpunkte zulegte.

All diese Ergebnisse zeigen eine wachsende Skepsis unter den Wählern gegenüber dem europäischen Integrationsprozess und stellen eine Herausforderung für die Befürworter der “europäischen Idee” dar.

Neben der Bildung der Parlamentsfraktionen und der Auswahl der EU-Spitzenpositionen bleiben viele wichtige Themen, wie Asyl und Migration, der “Green Deal”, der gemeinsame Haushalt und die geopolitischen Beziehungen zur Ukraine, aktuell und konfliktreich.

Die politische Landschaft in Europa zeigt vermehrt das Aufkommen und die Stärkung diverser politischer Kräfte, die eine Heterogenität der Meinungen und Einstellungen hervorbringen, die europäische Entscheidungsprozesse potenziell komplizierter machen könnten.

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