Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, der kürzlich inhaftiert und von seinem Amt enthoben wurde, gilt als der bedeutendste politische Rivale des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Nach seiner Inhaftierung protestierten Tausende in verschiedenen türkischen Städten, jedoch zeigten sich die westlichen Alliierten der Türkei gegenüber diesen Vorfällen eher verhalten, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas kommentierte, dass Erdoğans Vorgehen gegen die Opposition Zweifel an der demokratischen Tradition der Türkei aufkommen lasse. Sie unterstrich zudem, dass die Wahrung der Grundrechte essentiell für den EU-Beitrittsprozess sei. Der amtierende deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte die Verhaftung und die Suspendierung İmamoğlus als „absolut inakzeptabel“, während das US-Außenministerium die Situation größtenteils ignorierte und als „interne Angelegenheit“ der Türkei beschrieb.
Erdoğan setzt darauf, dass der Westen ihn benötigt und daher eher zurückhaltend auf interne türkische Angelegenheiten reagiert. In Zeiten von internationalen Sicherheitsproblemen, bemüht sich Erdoğan, als wichtiger Vermittler in Konflikten von der Ukraine bis zum Nahen Osten und Afrika aufzutreten, so Bloomberg.
Die Nachrichtenagentur hebt hervor, dass die Inhaftierung des populären Politikers İmamoğlu, der potenziell Erdoğans Ambitionen auf eine Wiederwahl gefährden könnte, ein beispielloser Schritt sei. Der türkische Präsident spekuliert darauf, dass die strategische Bedeutung der Türkei deren demokratisches Defizit überschatten könnte. Bisher hat diese Politik Früchte getragen, obwohl sie Investoren abschrecken könnte, was den Zufluss von Auslandskapital gefährdet.
Bloomberg argumentiert, dass die wachsende militärische Bedeutung der Türkei, verstärkt durch den Konflikt in der Ukraine, sie zu einem wertvollen Alliierten gemacht hat. Währenddessen überdenkt die Trump-Administration die Sicherheitszusagen der USA in Europa. “Das globale Umfeld begünstigt Erdoğan, der den Zeitgeist sehr gut spürt”, wird Soner Çağaptay vom Washington Institute for Near East Policy zitiert. “Ich erwarte keine tiefgreifenden Gegenmaßnahmen seitens Europas oder der USA.”
Die nächsten Präsidentschaftswahlen in der Türkei sind für das Jahr 2028 angesetzt. Laut der aktuellen Verfassung ist eine erneute Kandidatur Erdoğans nicht möglich, es sei denn, seine Partei AKP und ihre Verbündeten sichern sich eine parlamentarische Mehrheit, um dies zu ändern. “Was zunehmend offensichtlich wird, ist Erdoğans Bereitschaft, die Türkei weitgehend autokratisch zu führen”, erklärt Wolfango Piccoli, Co-Präsident der Beratungsfirma Teneo, gegenüber Bloomberg.
Der Artikel schließt mit der Feststellung, dass die Investoren und der Markt derzeit die einzigen Kräfte darstellen könnten, die Erdoğans Ambitionen bremsen. Nach İmamoğlus Verhaftung erlitt die türkische Lira starke Verluste gegenüber dem US-Dollar und dem Euro, ein historischer Tiefstand seit 2021. Die türkische Zentralbank hat Maßnahmen ergriffen, um den Verfall der Währung zu stoppen und somit eine steigende Inflation zu verhindern.
“Derzeit könnten lediglich massive friedliche Proteste und Marktkräfte – die einzigen Dinge, die Erdoğan nicht kontrollieren kann – den Präsidenten dazu veranlassen, seinen politischen Kurs zu ändern”, so Çağaptay abschließend.
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