In Istanbul und Ankara, wo Demonstrationen verboten sind, haben sich dennoch Tausende versammelt, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Diese massiven Proteste, die größten seit einem Jahrzehnt, wurden durch die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu ausgelöst, einem der Hauptgegner von Präsident Erdoğan. Die Maßnahme wurde von Demonstranten, Oppositionsparteien und europäischen Politikern als politisch motiviert und antidemokratisch kritisiert.
Nach sechs Tagen der Proteste, gekennzeichnet durch vereinzelte Zusammenstöße mit der Polizei, haben viele Regierungsgegner signalisiert, dass sie sich auf eine langwierige Auseinandersetzung einstellen. Sie widersprechen Präsident Erdoğans Aussage, dass ihre “Show” im Sande verlaufen werde. Erdoğan bezeichnete die andauernden Proteste als “Straßenterrorismus” und hat seit dem harten Vorgehen gegen die Gezi-Park-Proteste 2013 nur wenig öffentliche Kritik geduldet.
Erdoğan beschuldigte nach einer Kabinettssitzung am Montag die Oppositionspartei CHP, die Bürger zu provozieren, und sagte voraus, sie würden sich schämen, sobald ihre “Show” verblasst sei. Die Regierung lehnt den Vorwurf der politischen Einflussnahme ab und behauptet, die Justiz handele unabhängig. Indessen versuchte die CHP, die Bürger aktiv zum Protest zu bewegen, insbesondere nachdem Bürgermeister İmamoğlu zur Teilnahme aufgerufen hatte, bevor er wegen Korruptionsvorwürfen, die er bestreitet, inhaftiert wurde.
Diverses Bildmaterial und Videos dokumentieren den Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern durch die Sicherheitskräfte. Die Regierung gibt an, dabei Pfefferspray verwendet zu haben, während von Protestteilnehmern berichtet wird, dass auch Plastikgeschosse eingesetzt wurden.
Auf den Straßen zeigten sich zuletzt auch Spannungen unter den Demonstranten. Einige machten den ultranationalistischen Wolfsgruß und zeigten Plakate mit Beschimpfungen gegen den PKK-Chef Abdullah Öcalan, was es vielen Kurden erschwert, sich anzuschließen. Die kurdische DEM-Partei hält sich zurück, da sie einen parallel laufenden Entwaffnungsprozess mit der Regierung nicht gefährden möchte.
Erdoğan bleibt zuversichtlich, dass die Inhaftierung seines Hauptgegners international keine Gegenreaktionen provozieren wird. Er verweist dabei auf die Abhängigkeit Europas von der Türkei, die durch den Konflikt in der Ukraine verstärkt wurde. Laut Bloomberg hat sich die Türkei durch ihre wachsenden militärischen Fähigkeiten zu einem wichtigen Verbündeten entwickelt, während die USA unter Trump ihre Sicherheitsverpflichtungen in Europa überdenken.
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