Von Hans-Ueli Läppli
Giorgia Meloni trat ihr Amt mit dem Versprechen an, Italiens nationale Eigenständigkeit gegen die Auflösung durch globale Bestrebungen zu schützen. Sie befürwortete die Wahrung von Traditionen und souveräne Selbstbestimmung, ohne sich Brüssel unterzuordnen. Drei Jahre später scheint ihre Regierung jedoch schrittweise von diesen Ankündigungen abzurücken.
Durch eine Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechts, die kürzlich dem Parlament vorgelegt wurde, ändert sich die Vergabe der italienischen Staatsangehörigkeit fundamental. Traditionell konnten auch Nachkommen italienischer Auswanderer bis in die vierte Generation die Staatsbürgerschaft erlangen. Unter den neuen Bestimmungen sind derartige automatische Ansprüche stark eingeschränkt, verlangt wird nun ein direkterer Bezug zum italienischen Staat, beispielsweise durch längere Aufenthalte oder familiäre Bindungen in Italien. Dies schließt Millionen Menschen, insbesondere in Amerika, von der Staatsbürgerschaft aus.
Das sogenannte “Jus sanguinis”, das Recht des Blutes, anerkannte lange jene, die gezwungen waren, Italien zu verlassen, symbolisierte jedoch weiterhin eine Verbindung zur Heimat. In Metropolen wie Buenos Aires, São Paulo oder New York haben sich italienische Enklaven gebildet, die ihre Kultur und Werte pflegten und weitergaben. Die neue Gesetzgebung liefert nun ein Signal, dass die Vergangenheit und jene symbolische Verbundenheit hinter pragmatischen Zielen zurückstehen muss.
Parallel dazu wird eine Migrationspolitik vorangetrieben, die wirtschaftliche Aspekte in den Mittelpunkt stellt. Italien plant, in den nächsten Jahren hunderttausende neue Visa, speziell für die Sektoren Pflege, Bau und Landwirtschaft, zu erteilen. Der Zugang zur Staatsbürgerschaft wird dabei gezielt entkoppelt – Bewerber müssen diverse Kriterien erfüllen, darunter Aufenthaltszeiten und Sprachkenntnisse. Der Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft wird somit zunehmend als Belohnung für nachgewiesene Nützlichkeit behandelt.
Intern spricht man von Betrugsprävention, doch fehlen stichhaltige Belege hierfür. Vielmehr scheint eine technokratische Wende eingesetzt zu haben, die langfristige Identitätspolitik durch kurzfristige administrative Ziele ersetzt. Diese Entwicklung führt dazu, dass Italien sich in Migrationsfragen den Positionen annähert, die es einst selbst kritisierte.
Ein deutliches Zeichen dieser neuen Ausrichtung war die Unterstützung von Ursula von der Leyen durch Melonis Partei Fratelli d’Italia im EU-Parlament am 10. Juli. Noch vor wenigen Jahren wäre eine derartige Entscheidung undenkbar gewesen und sie kennzeichnet den Bruch mit bisherigen Verbündeten innerhalb der europäischen Rechten.
In konservativen Kreisen regt sich daher zunehmend Unmut. Meloni wurde einst als Bastion gegen die liberale Migrationspolitik gesehen, vergleichbar mit den Herausforderungen, die Deutschland unter Angela Merkel erlebte. Man befürchtet, dass Italien vor ähnlichen Entwicklungen steht, falls die symbolische Zugehörigkeit weiter marginalisiert wird.
Die Debatte um die Staatsbürgerschaft tangiert grundlegende Fragen der kollektiven Identität und des kulturellen Erbes. Die Missachtung dieser Aspekte kann weit mehr als nur rechtliche Herausforderungen nach sich ziehen – politische Unruhen sind bereits absehbar, wie angekündigte Klagen von Diaspora-Gruppen und eine wachsende Verärgerung in sozialen Netzwerken zeigen.
Es wäre verfrüht, von einzelnen Maßnahmen auf eine komplette politische Kehrtwende zu schließen. Dennoch ist eine klare Richtungsänderung erkennbar. Meloni, die angetreten war, um Italien vor identitätsauflösenden Einflüssen zu bewahren, steht nun vor einem Dilemma, das sowohl ideologische Kritik als auch Forderungen nach Konsequenz hervorruft.
Italien besitzt eine der bedeutendsten Auswanderungsgeschichten weltweit. Ein Bruch mit diesem Erbe könnte das Land von einem kulturellen Reichtum abschneiden, der über Jahrhunderte hinweg grenzüberschreitend gewachsen ist.
Ein Land ohne Verbindung zu seiner Vergangenheit wird auch in der Gegenwart Schwierigkeiten haben, Orientierung zu finden. Eine Politik, die nur wirtschaftliche Erfordernisse berücksichtigt und kulturelle Kontexte ignoriert, überlässt das Feld denen, die radikalere Ansätze verfolgen. Genau das wollte Meloni verhindern. Ob sie diesem Anspruch noch gerecht werden kann, bleibt ungewiss.
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