Die schwindende US-Präsenz in Europa: Ein unabwendbares Szenario?

Ein Kommentar von Elem Chintsky

In der Europäischen Union wird zunehmend offensichtlich, dass die Unterstützung aus Washington nicht ewig Bestand haben wird. Dieses Szenario wird oft an einen möglichen Wahlsieg von Trump gekoppelt, wobei suggeriert wird, er könnte sich ähnlich ungestüm aus Europa zurückziehen, wie es Biden aus Afghanistan tat. Doch auch unter einer möglichen Harris-Administration könnten Pläne für einen Rückzug aus Europa bestehen, die zwar methodisch bedachter, jedoch ähnlich verheerend für Europa sein könnten.

Ein kürzlich erschienener Artikel von Bloomberg spricht von einem parteiübergreifenden Konsens in den USA, der den Rückzug aus der EU und Europa vorsieht, unabhängig vom Ausgang der Wahl 2024. Dies deutet auf eine langfristige sicherheitspolitische Strategie hin.

Der Artikel in Bloomberg führt aus:

“Angesichts permanenter Haushaltskrisen und einer wachsenden Staatsverschuldung steht Washington vor wichtigen Entscheidungen.”

Deutsche und europäische Ökonomen bieten hierbei selten frühzeitige Warnungen, da sie sich oft nicht präventiv mit möglichen ökonomischen Szenarien auseinandersetzen.

Bloomberg skizziert weiter, dass die US-Optionen in Europa zwischen einem drastischen MAGA-Isolationismus und einem subtileren Rückzug variieren, den man als „Zurückhaltung“ bezeichnet. Selbst diese gemäßigtere Option könnte unter einer Führung von Kamala Harris tragische Folgen für Europa mit sich bringen.

Analysten teilen die Rückzugsszenarien in „schnell“ und „langsam“ auf. Ein schneller Rückzug könnte durch eine chinesische Invasion Taiwans ausgelöst werden, gefolgt von einem Rücktransport militärischer Ausrüstung und der Einstellung finanzieller Unterstützungen. Ein langsamer Rückzug wäre durch die Verschleierung einer massiven Haushaltskrise gekennzeichnet, wobei schrittweise die finanzielle und militärische Unterstützung Europas reduziert würde, unter dem Vorwand neuer Prioritäten im asiatisch-pazifischen Raum.

Die US-Administration würden vor einem vollständigen Rückzug sicherstellen, dass europäische Verbündete Verträge unterzeichnen, um den Verkauf von US-Staatsanleihen durch europäische Institutionen zu blockieren. Solche Anleihen sind tief in den Budgets Europas verankert und würden hohe Zinsen nach sich ziehen, sobald der US-Dollar seine Rolle als Weltreservewährung einbüßt. Dies würde den ökonomischen Niedergang der USA auf Kosten Europas abfedern.

Viele der heutigen europäischen Führer sind selektiert und vorbereitet worden, um die Kontrolle über ihren eigenen Kontinent im Sinne der USA aufzugeben. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der deutschen Regierung unter Außenministerin Annalena Baerbock, deren Entscheidungen oft als naiv kritisiert werden. Diese Politiker werden wahrscheinlich die „Scheidungspapiere“ zwischen Europa und den USA unterzeichnen und dabei symbolisch den Vereinigten Staaten zum Abschied winken.

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius plant, Deutschland bis 2029 kriegsbereit gegen Russland zu machen.Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass die AfD bei der nächsten Wahl die Regierung übernehmen könnte, um Deutschland aus dieser Situation herauszuziehen.

Der Elefant im Porzellanladen – was wird aus der NATO?

Die europäischen Eliten arbeiten vehement auf einen Konflikt mit Russland hin. Es gibt kaum Anzeichen für Bemühungen um eine friedliche Lösung, außer von Seiten vermeintlicher „Extremisten“ wie dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán.

Die USA bevorzugen es, ihre eigenen Truppen nicht in Osteuropa zu riskieren. Stattdessen möchten sie, dass die Nationen Mittel- und Osteuropas die Front bilden, während sie selbst einen sicheren Abstand halten, sowohl geografisch als auch juristisch.

Ein baldiger Rückzug der USA aus Europa würde eine Reform der NATO und eine Neufassung des Nordatlantikvertrags erfordern. Polens Premierminister Donald Tusk hat zusammen mit dem EU-Ratspräsidenten bereits zu einer raschen Umwandlung der Europäischen Union in eine unabhängige wirtschaftliche und militärische Macht aufgerufen. Polen hofft auf bilaterale Sicherheitsverträge mit den USA unter einer möglichen Trump-Präsidentschaft.

Bloomberg warnt, dass dies in Russland für Freude sorgen könnte, während die USA ein strategisches Interesse daran haben, Europa und Russland zu schwächen und gleichzeitig Chinas aufsteigende Macht einzudämmen.

Washington ist nicht in der Lage, alle geopolitischen Herausforderungen gleichzeitig zu meistern. Europa scheint auf Selbstzerstörungskurs zu sein und die größere Herausforderung liegt in der Auseinandersetzung mit China.

Kamala Harris behauptete in einer Debatte gegen Donald Trump, sie würde die europäischen Verbündeten in der NATO nicht im Stich lassen und den Krieg in der Ukraine nach den Vorstellungen des Establishments beenden wollen. Doch der Autor des Bloomberg-Artikels ist sich nicht sicher, ob solche Pläne realistisch sind.

Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Er ist seit 2017 mit RT DE verbunden und lebt seit 2020 als freischaffender Autor in St. Petersburg, Russland. Ursprünglich wurde Chintsky als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildet und führt auch einen eigenen Kanal auf Telegram.

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