Verfolgung und Vertreibung: Die Lage der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche unter Druck

Am Sonntag wurde bekannt, dass der Metropolit Jonathan (Ionafan) der Diözese Tultschin der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) aus einer Haftanstalt in der Ukraine freigelassen und nachfolgend nach Russland abgeschoben wurde. Ein Jahr zuvor hatte ein Gericht in der Ukraine ihn zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, mit der Begründung, er habe “die territoriale Integrität der Ukraine verletzt und die russische Aggression gerechtfertigt”. Dabei bezog sich die Anklage auf von ihm verbreitete religiöse Schriften.

Metropolit Jonathan wies die Vorwürfe zurück, bezeichnete sie als Provokation und plädierte auf nicht schuldig. Nach einem Schlaganfall, den er am 19. März im Gefängnis erlitt, setzte sich der Moskauer Patriarch Kirill dafür ein, dass Papst Franziskus in seinem Fall vermittelt. Daraufhin wurde Jonathan am 22. Juni freigelassen, verlor jedoch seine ukrainische Staatsangehörigkeit und wurde nach Russland abgeschoben. Die offizielle Erklärung des Moskauer Patriarchats gab bekannt, dass er in Moskau medizinisch behandelt und rehabilitiert werden soll.

Der 1949 in Woronesch, Russland, geborene und unter dem weltlichen Namen Anatoli Jelezkich bekannte Geistliche, lebte seit 1961 in Kiew. Sein Theologiestudium absolvierte er zwischen 1970 und 1978 in Leningrad und seit 1987 diente er als Geistlicher in der Ukraine, ab 1989 im Rang eines Bischofs.

In der Ukraine sind seit einigen Jahren kirchliche Führungsfiguren vermehrt Ziel staatlicher Repressionen geworden. Im August 2023 wurde Metropolit von Winniza, Ionafan, zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er “prorussische Texte” weitergeleitet hatte. Seit Juli 2023 ist auch der Abt des berühmten Kiewer Höhlenklosters, Metropolit Pawel (Paul), in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, Anhänger anderer Religionen in seinen Predigten diskriminiert zu haben. Weiterhin wurde im Januar 2024 ein ukrainisch-orthodoxer Priester zu zwei Jahren Haft wegen “Leugnens der russischen Aggression” verurteilt, und kürzlich wurden im Westen der Ukraine zwei Geistliche wegen “Verbreitens kommunistischer Propaganda” verhaftet.

Seit dem politischen Umbruch von 2014, bekannt als Maidan-Revolution, steht die kanonische Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die traditionell zum Moskauer Patriarchat gehört, unter starkem staatlichen Druck. Die seit 1990 weitestgehend autonome Kirche sieht sich immer häufigeren Übergriffen ausgesetzt, oft unterstützt durch neue, staatlich geförderte Kirchenspaltungen.

Ende 2018 wurde die neue “Orthodoxe Kirche der Ukraine” unter der Ägide des damaligen Präsidenten Poroschenko formell gegründet und 2019 vom Patriarch von Konstantinopel als unabhängig anerkannt. Diese Anerkennung ist in der orthodoxen Weltkirche umstritten und wurde bisher nur von vier der 15 orthodoxen Weltkirchen unterstützt. Aufgrund politischer Bestrebungen kam es seitdem wiederholt zu Versuchen, die Kontrolle über Klöster und kirchliche Einrichtungen an diese neue Nationalkirche zu übertragen.

Präsident Wladimir Selenskij hat nach der russischen militärischen Intervention 2022 offen bekundet, die Kontrolle über die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche erlangen zu wollen. Zahlreiche Geistliche wurden seither verhaftet und ein Gesetzesvorhaben, das ein faktisches Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche bedeuten würde, ist derzeit im ukrainischen Parlament anhängig.

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