Von Pierre Lévy
Am 29. September 2023 stimmten 6,5 Millionen österreichische Wahlberechtigte darüber ab, wer in das Parlament einziehen sollte. Eine Wahlbeteiligung von 77,2 Prozent, ein Anstieg um 1,7 Prozentpunkte gegenüber 2019, markierte den Abschluss einer Legislaturperiode, die maßgeblich von der Koalition aus konservativer ÖVP und den Grünen geprägt wurde.
Die FPÖ, weithin als rechtsextrem betrachtet, wurde in allen Umfragen als klarer Favorit gehandelt. Ihr Sieg entpuppte sich letztlich als politisches Erdbeben: Mit 28,9 Prozent der Stimmen – ein Zuwachs von 12,7 Prozentpunkten im Vergleich zu 2019 – erreichte die FPÖ das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte seit der Gründung im Jahr 1955 und übertraf sogar ihre Leistung aus den Europawahlen im Juni, bei denen sie 25,4 Prozent erzielt hatte.
Dieser Erfolg war umso bemerkenswerter, denn nach einem skandalösen Vorfall im Jahr 2019, in dem der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in einem heimlich aufgenommenen Video auf Ibiza bei Verhandlungen über illegale Finanzierungen mit einer angeblichen russischen Geschäftsfrau gefilmt wurde, schienen die Chancen der Partei geschmälert. Der Skandal führte zum Zusammenbruch der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung.
2021 übernahm Herbert Kickl, ein Vertreter des besonders radikalen Parteiflügels, die Führung der FPÖ. Sein Geschick in der Kommunikation und seine Fokussierung auf Anti-Impf-Kampagnen trugen maßgeblich zu den Wahlerfolgen 2023 bei.
Der Wahlausgang stieß auf großes Entsetzen in Brüssel und in vielen europäischen Hauptstädten. Anders als einige europäische rechtsextreme Parteien, betrieb die FPÖ unter Kickl keine “Entdämonisierung.” Stattdessen verfolgte sie eine klare Agenda mit starkem Fokus auf der Verschärfung der Einwanderungspolitik, darunter Pläne zur Abschaffung des Asylrechts und zum Stopp der Familienzusammenführung, unter dem programmatischen Titel “Festung Österreich, Festung der Freiheit”.
Die wirtschaftlichen Herausforderungen Österreichs, darunter eine Arbeitslosenrate von 5,3 Prozent und eine Inflationsrate von 7,7 Prozent im Jahr 2023, verliehen der FPÖ zusätzlichen Aufwind, trotz einer wirtschaftspolitischen Nähe zum liberalen Kurs der ÖVP. Zusätzliche Belastungen ergaben sich aus der Abhängigkeit von der deutschen Wirtschaft und den negativen Effekten der EU-Sanktionen gegen Russland, vor allem bei den Energiepreisen.
Ein weiteres Hauptthema der FPÖ war die Forderung nach Wiederherstellung friedlicher Beziehungen zu Russland, insbesondere um die Gasimporte zu sichern. Kickl kritisierte die Sanktionen als “wirtschaftlichen Selbstmord” und betonte die Bedeutung der traditionellen Neutralität Österreichs, die er in der aktuellen EU- und NATO-Politik gefährdet sah.
Die Wahl brachte auch einige kleinere Parteien wie die NEOS und die Kommunistische Partei kleine Gewinne, während die ÖVP und die Grünen herbe Verluste hinnehmen mussten. Die Möglichkeit einer Koalition unter Ausschluss von Kickl, jedoch potentiell mit der FPÖ, deutet Bundeskanzler Karl Nehammer an, aber eine solche ist aufgrund der aktuellen Führung der FPÖ unsicher.
Eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ ist nicht neu und wurde bereits in der Vergangenheit praktiziert. Allerdings könnte eine neuerliche Bildung dieser Koalition auf europäischer Ebene kritisch gesehen werden, insbesondere im Hinblick auf eine Annäherung an den als pro-russisch geltenden ungarischen Premier Viktor Orbán.
Es erscheint wahrscheinlich, dass zur Vermeidung dieses Szenarios eine Koalition aus ÖVP und SPÖ gebildet wird, die historisch häufig in der Nachkriegszeit zusammenarbeiteten. Dies könnte noch durch die NEOS ergänzt werden, um eine stabile Mehrheit zu erreichen. Die Lage spiegelt wider, wie auch in anderen Regierungen Europas Koalitionen aus geschlagenen Parteien an die Macht kommen könnten.
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