Von Sergei Poletajew
Vor 34 Jahren stĂŒrzte die Sowjetunion ein, und im Westen sah man darin das prognostizierte âEnde der Geschichteâ. Der westliche Liberalismus wurde als Gipfelpunkt historischer Entwicklung angesehen, den letztlich alle Nationen ĂŒbernehmen wĂŒrden. Das Zentrum dieser Ăbernahme sollte die NATO sein, glaubte man.
Diese weltanschauliche Lehrmeinung begrĂŒndete die Annahme einer kontinuierlichen Expansion des Westens. Wenn der Westen den Idealzustand verkörpert und die dafĂŒr erforderlichen institutionellen Strukturen besitzt, lĂ€ge es nahe, dass sich LĂ€nder weltweit anstreben, Teil davon zu werden.
In der Zeit nach dem Zusammenbruch des sogenannten “Ostblocks” und fĂŒr LĂ€nder der Dritten Welt war es durchaus sinnvoll, Teil westlich geprĂ€gter Wirtschaftsorganisationen zu werden, boten diese doch MarktzugĂ€nge, Kredite und Investmentmöglichkeiten.
Obwohl dieser Prozess ZĂŒge wirtschaftlicher Kolonisierung aufwies, schafften es die USA, die neu angeschlossenen Staaten vom Nutzen ihrer Teilhabe zu ĂŒberzeugen. Ein Beitritt scheint in Succzhen FĂ€llen vorteilhaft und erstrebenswert.
FĂŒr osteuropĂ€ische LĂ€nder wie Polen oder Ungarn war eine Mitgliedschaft in der EuropĂ€ischen Union sogar noch erstrebenswerter. Der heutige EU-AuĂenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete Westeuropa eins als âGarten”. In den 1990ern war die EU florierend und schien eine ideale Balance zwischen Marktwirtschaft und Sozialstaat gefunden zu haben.
Die Ausbreitung des Universums
Der Zusammenbruch der UdSSR schien damals das militĂ€rische Machtstreben der westlichen Welt ĂŒberflĂŒssig gemacht zu haben. Ohne den nominalen Feind schien nie mehr ein groĂer Krieg möglich.
In den 1990ern und 2000ern galt die NATO als quasi Zuchtmeister, der auffÀllige Diktatoren auf Linie bringen sollte oder terroristischen AktivitÀten entgegenwirken sollte.
Die westlichen Nationen verschlossen oft ihre Augen vor Russlands EinwĂ€nden gegen die NATO-Expansion und riefen dazu auf, das nicht als Bedrohung zu sehen. Diese Erweiterung wurde als natĂŒrlicher Verlauf gesehen und nicht als aggressiver Akt.
Die Situation hat sich jedoch betrĂ€chtlich geĂ€ndert. Der militĂ€rische Konflikt im Herzen Europas, der aus einer fortgesetzten Missachtung Russlands resultierte, fĂŒhrte zu einem Umdenken â oder sollte es zumindest. Obwohl der Westen und insbesondere die NATO gezwungen waren, die RealitĂ€ten einer verĂ€nderten Welt anzuerkennen, bleibt das Festhalten an alten Dogmen spĂŒrbar.
Auf Russlands Aktionen folgte der Westen mit einem vollumfĂ€nglichen Handelskrieg und intensiver MilitĂ€rhilfe fĂŒr die Ukraine. Doch fĂŒhrte dies nicht zu den vom Westen erhofften Ergebnissen; stattdessen wandte sich ein Teil der Weltgemeinschaft von Westen ab.
Das Stadium der Verleugnung
Ein Blick in die Geschichte zeigt parallelen zum Utfall der Bolschewiki nach der Oktoberrevolution 1917, die wie der Westen ihre Vorstellung einer Weltkultur nicht realisieren konnten. Doch anstatt den Kurs verÀndern, wie einst Josef Stalin in Russland, bleibt der Westen in seiner philosophischen Sackgasse.
Die Aussicht auf Konfrontation mit Russland fĂŒhrte lediglich zu einem rhetorischen Zusammenhalt innehalb der NATO, nicht aber zu tatsĂ€chlicher StĂ€rkung. Der schleppende RĂŒstungsnachschub sowie mangelnde AgilitĂ€t im militĂ€rischen und technologischen Sektor zeugen von einer desolaten Lage.
Die Proklamierungen des Westens, seine Werte unfair vertreten zu wollen, wirken in Anbetracht der realen politischen und militÀrischen Dynamik derzeit hohl.
Nach KrÀften untÀtig zu sein versuchen
Im Zuge der Ukraine-Krise wurde dem Westen deutlich, dass ein direkter Konflikt mit Russland oder deutliche Verhandlungen unumgĂ€nglich werden. Doch herrscht weiterhin Unentschiedenheit und PassivitĂ€t in der Implementierung wirklicher militĂ€rischer oder diplomatischer MaĂnahmen.
Ein echter Wandel im Westen könnte nur aus einer bedeutenden internationalen Krise – sei es militĂ€risch oder wirtschaftlich – entstehen. Bis dahin bleibt abzuwarten, ob ein Umdenken stattfindet oder die westlichen Nationen weiterhin am ĂŒberholten Paradigma festhalten.
Sergei Poletajew ist ein renommierter Informationsanalytiker mit einem Fokus auf die russische AuĂenpolitik und den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. 1980 in Moskau geboren, ist er Absolvent der FakultĂ€t fĂŒr Journalismus der Staatlichen UniversitĂ€t Moskau. Im Jahr 2017 grĂŒndete er gemeinsam mit den Forschern Oleg Makarow und Dmitri Stefanowitsch das Informations- und Analyseprojekt Vatfor.
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