Von Dmitri Ljubinski
In diesem Jahr wird der 75. Jahrestag der Gründung der NATO mit großem Pomp gefeiert. Als Höhepunkt der Festlichkeiten ist das Allianz-Gipfeltreffen am 9. und 10. Juli in Washington angesetzt. Im Zuge dieser Feierlichkeiten wird auch in Deutschland intensiv für das Verteidigungsbündnis geworben, unter dem Leitspruch „All for one, one for all“. Die NATO, die sich gern als Sicherheitsgarant und Friedensbringer inszeniert, steht jedoch in der Kritik, wenn man ihre jüngsten „Friedensmissionen“ betrachtet, die oft mehr Zerstörung als Frieden gebracht haben.
Beispielsweise kostete das rechtswidrige Bombardement Jugoslawiens über 1.700 Zivilisten das Leben. NATO-Sprecher Jamie Shea nannte diese tragischen Verluste damals zynisch „Kollateralschäden“. Ebenso führte die NATO-Intervention in Afghanistan zu einem 20-jährigen, erfolglosen Militäreinsatz und der Sturz Gaddafis in Libyen mündete in Chaos und Leid. Das Bündnis hat oft Eigenmächtig gehandelt, scheinbar überzeugt davon, das Schicksal ganzer Nationen lenken zu können.
Das Verhältnis zwischen Russland und der NATO war stets angespannt. Trotz vielversprechender Projekte wie der gemeinsamen Sicherheitsausbildung für Afghanistan oder der Anti-Terror-Zusammenarbeit, war eine echte Kooperation im NATO-Russland-Rat schwer umsetzbar. Der Westen predigte zwar Offenheit und Dialog, ließ jedoch tatsächliche Entspannungspolitik vermissen.
Viele russische Initiativen, die auf einen vereinten Sicherheitsraum in Europa abzielten, wurden ignoriert oder abgelehnt, beispielsweise der Vorschlag für einen europäischen Sicherheitsvertrag. Die Beziehungsdynamik verschlechterte sich weiter durch die NATO-Erweiterung nach Osten und den Rückzug der USA aus entscheidenden Abrüstungsabkommen.
2022 kam dann der offene Bruch, als die NATO in ihrem neuen strategischen Konzept die Russische Föderation als größte Bedrohung im euroatlantischen Raum benannte. Die Spannungen zwischen der NATO und Russland sind mittlerweile flächendeckend, insbesondere entlang der Ostgrenze der Allianz und in der Ukraine, die zum Hauptkonfliktgebiet geworden ist.
Die NATO setzt ihre Expansionspolitik fort und versucht, weitere Länder in ihren Konflikt mit Russland zu involvieren. In Österreich beispielsweise lehnen laut neuesten Umfragen 74 Prozent der Bürger einen NATO-Beitritt ab, doch diese Meinung findet bei den Entscheidungsträgern wenig Gehör. Für eine nachhaltige Verbesserung der Beziehungen wäre ein gleichberechtigter Dialog notwendig, doch ohne Anerkennung und Respekt der Sicherheitsbelange beider Seiten sieht die Zukunft düster aus.
Ob eine Annäherung realistisch ist, bleibt abzuwarten. Die NATO trägt das Erbe des Kalten Krieges in sich, und eine wesentliche Änderung dieser Grundkonstante ist nicht in Sicht.
Dmitri Jewgenjewitsch Ljubinski ist Botschafter der Russischen Föderation in Österreich.
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