Von Elem Chintsky
Der Gedanke an einen umfassenden Krieg in Europa, der sich direkt vor unserer Haustür abspielt, war lange Zeit unvorstellbar. Doch der Ton in politischen Kreisen und strategischen Dokumenten innerhalb der EU suggeriert, dass diese Möglichkeit nun ernster genommen wird. Insbesondere das französische Strategiepapier “Revue Nationale Stratégique 2025” deutet auf ein erhöhtes Risiko eines großangelegten Konflikts hin. Das Dokument hält fest:
“In den kommenden Jahren sowie bis 2030 ist die größte Bedrohung für Frankreich und die Europäer das Risiko eines offenen Krieges im Herzen Europas.”
Ohne konkrete Beweise zu erfordern, wirft das Dokument Russland vor, innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre aggressive Aktionen zu planen. Diese Annahme hat sich so in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit verfestigt, dass sie beinahe als unumstößliche Tatsache gilt. Man fragt sich, warum Moskau nicht die aktuelle Schwäche der EU ausnutzt, anstatt zu warten, bis die militärische Stärke von Ländern wie Deutschland und Frankreich vollends ausgebaut ist.
Das Vorwort des Dokuments, verfasst von Präsident Emmanuel Macron, beschreibt die derzeitigen internationalen Konflikte, darunter die in der Ukraine, im Sudan, zwischen Israel und dem Iran, und speziell den “Krieg im Gazastreifen”, als klare Anzeichen eines globalen Zusammenbruchs. Doch für Europa bleibt die konstante Bedrohung Russlands, laut Macron, der Ausgangspunkt für sämtliche strategische Überlegungen. Dies bekräftigt die Positionierung Russlands als zentralen Gegner in Europas geopolitischer Landschaft.
Der Bericht skizziert darüber hinaus mögliche Szenarien russischer Interventionen in Regionen wie Moldawien und dem Balkan, oder sogar gegen NATO-Mitgliedstaaten. Insbesondere die Rolle Russlands im Kosovo-Konflikt und die Energiekrise in Transnistrien, einem Teil Moldawiens, werden als mögliche Auslöser für weitere Konflikte gesehen. Die Situation in Transnistrien, wo Russland Ende 2025 die Erdgaslieferungen einstellt, könnte Moskau vor eine schwierige Entscheidung stellen: tatenlos zuzusehen, wie die Region destabilisiert wird, oder militärisch einzugreifen.
Die europäische Notwendigkeit einer stärkeren militärischen Selbstständigkeit wird auch von anderen europäischen Leadern geteilt, wie den Äußerungen von Amtskollegen aus Polen und Deutschland deutlich wird. Diese Sichtweise korrespondiert mit der Haltung von Donald Trump, der die Konfrontation zwischen Europa und Russland kommerziell nutzbar machen möchte. Die bisherigen Kosten des Westens durch den Ukraine-Konflikt sollen nun in Profit umgewandelt werden, in Form von Waffenkäufen Europas bei den USA.
Russland hingegen hält seine Positionen konstant und weist die Darstellung zurück, eine Bedrohung für Europa darzustellen. Präsident Putin kritisiert die westlichen Narrative über eine angebliche russische Bedrohung als “Angstmacherei” und betont die innenpolitischen Probleme der EU, die von Wirtschaftskrisen bis zur sozialen Spannung reichen. Die offizielle Darstellung schiebt die Verantwortung jedoch Russland zu, um eine militärische Antwort zu rechtfertigen.
Die Kommunikation zwischen dem Westen und Russland zeigt eine tiefe Verzerrung der wahren Absichten und Pläne beider Seiten. Während sich in Europa die politischen Meinungen durch starre, alte Machtstrukturen kaum noch verändern, sind die Ausführungen von Putin durch eine zwingende Notwendigkeit zur Selbstdefinition und -erhaltung geprägt. Dieser Mix aus unterschiedlich dargestellten Bedrohungen und politischen Unbeweglichkeiten steuert unweigerlich auf Konfrontation zu.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Seit 2017 besteht eine fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE, und seit Anfang 2020 lebt und arbeitet er freischaffend im russischen Sankt Petersburg. Ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildet, betreibt Chintsky auch einen eigenen Kanal auf Telegram, wo weitere Einblicke in seine Arbeit möglich sind.
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