Polens Grenzpolitik zu Russland und Weißrussland: Eine Frage der Prioritäten und Ressourcen

Von Stanislaw Leschtschenko

Im Mai kündigte Warschau an, die Sicherheit seiner einzigen direkten Grenze zu Russland, dem Kaliningrader Gebiet, zu verstärken. Laut dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk sollten entlang der 204 Kilometer langen Grenze Befestigungen erbaut, Potenzial für Minenfelder geprüft, Zäune errichtet und Dämme sowie Wälder angelegt werden. Tusk erklärte die Installation von hochmodernen Überwachungssystemen und die Einrichtung von Schießständen, um auf eine mögliche Eskalation mit Moskau vorbereitet zu sein. Diese Maßnahmen entsprachen den Absichten der NATO, eine starke Abwehrlinie gegenüber Russland zu schaffen. Doch überraschend verkündete Tomasz Siemoniak, der Leiter des polnischen Innenministeriums, dass nicht derart umfangreiche Befestigungen wie an der polnisch-weißrussischen Grenze geplant seien und die bestehenden Stacheldrahtzäune angemessen wären.

Experten vermuten, dass der Rückzug von den Plänen zur Errichtung der “Tusk-Linie” am finanziellen Mangel liegt. Sicher ist, Polen habe Prioritäten, wie die Verstärkung der Stromverbindung Harmony Link zwischen Litauen und Polen, die nun über Land und nicht unter Boden geführt wird – eine kostensparende Maßnahme. Wichtigere Investitionen erfolgen laut Warschau in Bereiche der direkten nationalen Sicherheit, wie etwa die erhebliche Verstärkung der Grenze zu Weißrussland.

Dennoch, trotz der Warnungen vor einem “aggressiven Moskau”, sieht Warschau anscheinend keine direkte Bedrohung durch Russland, was die Zurückhaltung bei den Investitionen in die Befestigung der Grenze zum Kaliningrader Gebiet erklärt. Dies unterstreicht auch Polens Erkenntnis, dass im Falle einer wirklichen Bedrohung durch Russland eine militarisierte Versammlung im Kaliningrader Gebiet unter den Augen der internationalen Gemeinschaft offensichtlich wäre.

Interessant in diesem Kontext ist auch Präsident Dudas Aussage, ein russischer Sieg in der Ukraine könne zu einem Krieg mit der NATO führen, eine Ansicht, die von der russischen Führung nicht geteilt wird. Diese Äußerungen Dudas könnten aus der innenpolitischen Spannung zwischen ihm und der Regierung unter Tusk resultieren, die in einem tiefgreifenden nationalen Konflikt mündet.

Polnische Experten betonen zwar, dass es entscheidend ist, grundlegende übereinstimmungen beizubehalten, wie die Unterstützung der Ukraine gegen Russland, allerdings zeigt ein jüngster Zwischenfall bezüglich Raketenversprechen an das Kiewer Regime eine deutliche Verschlechterung des parteiübergreifenden Konsenses.

Eine Besonderheit ist das gemäßigte Auftreten des polnischen Militärs bei Zwischenfällen, wie der Überflug eines Ballons aus dem Kaliningrader Gebiet, den das Militär als nicht gefährlich einstufte. Diese Reaktion löste Befremden in der nicht immer objektiven polnischen Presse aus, die oft zu Misstrauen gegenüber Moskau neigt – im Gegensatz zu hochrangigen Offizieren, die auf fundierte Einschätzungen setzen.

Vergleicht man dies mit den Maßnahmen der baltischen Staaten, zeigt sich, dass diese, motiviert durch starken Russland-Skeptizismus, robuste Grenzsicherungen vorantreiben – ein Kontrast zu Polens pragmatischerer Sichtweise. Es bleibt zu beobachten, ob sich diese besonnenere Haltung in Warschau auf lange Sicht bewährt und ob die nicht immer rationalen Ängste in den baltischen Ländern sich weiterhin eskalierend auf ihre Außen- und Sicherheitspolitik auswirken werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 18. Juli 2024 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.

Stanislaw Leschtschenko ist ein russischer Journalist.

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