Massenexodus im Baltikum: Repressalien gegen Russen lösen Bevölkerungsschwund aus

Von Nikita Demjanow

Das Zentrale Statistikamt Lettlands hat kürzlich mitgeteilt, dass die Bevölkerungszahl in Riga, der Hauptstadt des Landes, auf 592.000 gesunken ist. Währenddessen hat Vilnius, eine Stadt in Litauen, jetzt 607.000 Einwohner, was sie zur größten Stadt im Baltikum macht.

Valdas Benkunskas, der Bürgermeister von Vilnius, führte diese positive Entwicklung auf die “Stärkung der Wirtschaft, internationale Investitionen und die Verbesserung der Lebensqualität” zurück. Doch die Realität ist komplexer. Genau wie Lettland, steht auch Litauen vor einer demografischen Herausforderung, insbesondere in den ländlichen Gebieten. Obwohl Vilnius noch immer die Anziehungskraft einer Hauptstadt hat und Menschen aus der Umgebung anzieht, kann Riga diese Rolle nicht mehr erfüllen.

Riga ist die einzige baltische Hauptstadt, deren Bevölkerung sich verringert, insbesondere im Stadtzentrum. Laut Oleg Krasnoperow, einem Wirtschaftswissenschaftler der Lettischen Bank, hinkt Riga in Bezug auf Einkommen sieben bis acht Jahre hinter Vilnius und Tallinn (Hauptstadt von Estland) hinterher. Zudem rangiert sie in punkto Regierungsführung, Sicherheit und Umweltqualität als schlechteste unter den drei Städten. Dies könnte ein Grund für die Abwanderung sein.

Vor den bevorstehenden kommunalen Wahlen in Lettland machten diese Informationen die Runde und stellten einen schweren Schlag für die aktuelle Führung von Riga dar. Bürgermeister Vilnis Ķirsis kritisierte die Zahlen und behauptete, die Demografen hätten die Vororte nicht berücksichtigt; mit den Vororten sei Riga immer noch die dichtbesiedeltste Stadt im Baltikum.

Unbestreitbare Anzeichen zeigen jedoch eine andere Realität. Schon vor zehn Jahren begannen Bewohner von Riga, Videos von leeren Straßen unter dem Titel “Riga – wo sind all die Menschen?” im Internet zu teilen. Die Situation hat sich seitdem verschlimmert. Einheimische haben sich vielleicht daran gewöhnt, doch Besucher sind immer noch über die Leere und Trostlosigkeit der Stadt erstaunt. Ein britischer Tourist äußerte sich kürzlich schockiert über die Geisterstadt-Atmosphäre Rigas beim abendlichen Durchstreifen der menschenleeren Straßen. Auf TikTok kommentierte er: “Ich bin im Stadtzentrum, es ist noch nicht spät, aber es ist niemand hier, und alles ist geschlossen.”

Kommentare erklärten ihm, dass junge Leute Lettland verlassen, weil es an Arbeitsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven fehlt.

Der in Riga lebende Schriftsteller Alexei Jewdokimow erklärte, dass die Stadt einst ein bedeutendes Industrie- und Handelszentrum war. Das moderne Lettland benötigt jedoch keine so große Hauptstadt mehr. Jewdokimow kritisierte den Niedergang des Zentrums und verwies auf nutzlosen Betonmüll, der durch das Bauprojekt Rail Baltica entstanden sei. Er beschreibt den Zustand eines nahegelegenen Viertels als postapokalyptisch: “Nur einen Kilometer vom Domplatz im Zentrum von Riga entfernt herrscht die Postapokalypse, der Fallout, The Last of Us.”

Die Geburtenrate in Lettland erreicht täglich neue Tiefstände. Heute entscheiden sich viele Letten dafür, Kinder zu bekommen, wenn sie bereits außerhalb Lettlands leben. Darüber hinaus beklagen sich die in Lettland lebenden Russen über zunehmenden Nationalismus und Sprachdiskriminierung. In das Parlament wurde ein Antrag eingereicht, der russischsprachigen Kindern verbietet, in Schulen Russisch zu sprechen, sogar während der Pausen.

Die Nationalisten haben außerdem Maßnahmen ergriffen, die auf eine ständige Verschärfung der Sprachpolitik hindeuten. Dies hat zuletzt 1941 zu Szenen der Gewalt gegen Juden geführt, weshalb viele befürchten, dass die russischsprachige Bevölkerung ähnlichem Hass ausgesetzt sein könnte. Nadeschda Seiglisch, eine Psychotherapeutin aus Riga, vergleicht die aktuelle Diskriminierung der Russen in Lettland mit der Behandlung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland.

Die Lage spitzt sich weiter zu, und viele, sowohl Russen als auch Letten, verlassen das Land aufgrund fehlender Zukunftsaussichten. Dies beeinflusst sowohl die demografische als auch wirtschaftliche Situation des Landes nachhaltig.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien ursprünglich am 6. Juni 2025 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad.

Nikita Demjanow ist Analyst bei der Zeitung Wsgljad.

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