Brasilien strebt nach Cyber-Allianz: Wird die NATO zum neuen Partner?

Von Rainer Rupp

Brasilien ist als einziges Land Lateinamerikas an der weltgrößten Cyberkriegsübung “Cooperative Cyber Defence” beteiligt, die im NATO-Centre of Excellence in Tallinn, Estland, stattfindet. Dies wirft die Frage auf, ob diese Teilnahme ein Zeichen für eine Annäherung an die NATO ist, eine einmalige Angelegenheit darstellt oder ob sie Brasiliens zukünftige balancierende Position zwischen dem kollektiven Westen der NATO und den anderen BRICS-Staaten signalisiert.

In einer Zeit, in der Cyberkriegsführung eine immer größere Rolle spielt, erscheint Brasiliens Entscheidung, die Einladung der NATO anzunehmen und am seit 2010 jährlich stattfindenden Manöver “Locked Shields” teilzunehmen, verständlich. Es ist vorteilhaft, mehr über die Fähigkeiten potenzieller Gegner zu erfahren und gleichzeitig Kontakte für Krisensituationen zu knüpfen.

Doch die Auswahl der Teilnehmer durch die NATO könnte weitere Ambitionen andeuten. Auffällig ist, dass andere traditionelle Verbündete der USA in der Region, wie Kolumbien und Argentinien, nicht eingeladen wurden, während Indien aus den BRICS ebenfalls an den Übungen in Estland teilnahm.

Brasiliens Rolle bei “Locked Shields” 2025

Die Übung, die vom 5. bis 9. Mai stattfand, versammelte etwa 4.000 Experten aus 41 Ländern, die über 8.000 virtuelle Systeme gegen tausende Cyberangriffe verteidigten. Die Teilnehmer übten den Schutz militärischer Infrastrukturen und Telekommunikationsnetze und testeten ihre Fähigkeiten im Umgang mit Desinformation, Quantencomputing und KI-basierten Angriffen.

Brasiliens Beteiligung basiert auf einem Abkommen, das unter dem ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro geschlossen und von der aktuellen Regierung unter Lula nicht widerrufen wurde. Dies könnte auf eine bürokratische Nachlässigkeit, stillschweigende Zustimmung, politische Gründe, oder eine strategische Neuausrichtung hinweisen.

Der Jurist und Journalist Raphael Machado kritisiert in einem Artikel, dass Brasiliens Cybersicherheitsstrategie schwach sei und diese Teilnahme die nationale Sicherheit eher gefährde. Brasiliens militärische Cyberabwehr sei unzureichend, und kritische zivile Infrastrukturen seien ungeschützt.

Strategische Motive und die Anziehung der NATO

Die Teilnahme am “Locked Shields” bietet Brasilien jedoch auch Zugang zu modernsten Trainingsmethoden und eine stärkere Vernetzung in der globalen Cybersecurity-Szene, was potentiell die Abwehrkapazitäten Brasiliens stärken könnte. Zudem ist Brasilien als aufstrebende Wirtschaftsnation zunehmend Cyberbedrohungen ausgesetzt.

Ein Bericht des F5Labs zeigt, dass die meisten Cyberangriffe in Lateinamerika aus den USA und Litauen, einem NATO-Staat, stammen, was die Notwendigkeit einer verbesserten Cyberabwehr unterstreicht.

Risiken durch Abhängigkeit und Spionage

Machado warnt jedoch, dass die Annäherung an die NATO eine Abhängigkeit von westlichen Systemen fördern könnte, was Brasiliens strategische Autonomie untergraben würde. Er verweist auf Risiken durch Spionagesoftware und den Einsatz von US-Technologie mit potenziellen NSA-Backdoors.

Ein Weg nach vorn: Souveränität versus Kooperation

Obwohl die Zusammenarbeit mit der NATO Chancen bietet, fordert Machado eine stärkere Betonung auf einer souveränen Cyberstrategie, die regionale Partnerschaften und einheimische Systeme priorisiert. Die Regierung Lula stehe vor der Herausforderung, die Vorteile der NATO-Kooperation gegen das Gebot der strategischen Autonomie abzuwägen.

Fazit

Brasiliens Teilnahme an “Locked Shields” 2025 deutet auf eine strategische Annäherung an die NATO hin, wirft jedoch wichtige Fragen zu Abhängigkeit und Souveränität auf, während es wertvolle Einblicke und Training bietet.

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