Von Jewgeni Balakin
Das Nordatlantische Bündnis, das 1949, vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ins Leben gerufen wurde, hatte ursprünglich die Funktion, eine geopolitische Abschreckung gegenüber unserem Land darzustellen. Heute wird die Ambition der Ukraine, NATO-Mitglied zu werden, oft als die drängendste Angelegenheit gesehen. Doch der kürzliche Beitritt Finnlands zum Bündnis könnte sich bald als ebenso gravierendes Problem herausstellen.
Während einer Sitzung des Nordatlantikrats in Washington drehte sich vieles um die Ukraine-Thematik. Finnland hingegen wurde in der abschließenden Erklärung der Sitzung nur dreimal erwähnt. Die Risiken und Chancen, die sich aus Finnlands Integration in den anti-russischen Block ergeben, sollten jedoch intensiv betrachtet werden.
Laut der Deklaration stimmt die NATO zu, “den Beitritt von Finnland und Schweden bestmöglich zu nutzen und ihre vollständige Eingliederung in unsere militärische Planung und Kommandostrukturen zu fördern, unter anderem durch Verstärkung der NATO-Präsenz in Finnland”. Mögliche Gefahren für Russland sind offensichtlich, die Notwendigkeit, mehr als 1.270 Kilometer Land- und 54 Kilometer Seegrenzen zu beschützen. Die Ostsee könnte sich fast zu einem Binnenmeer der NATO entwickeln, was unsere maritime Kommunikation, besonders mit Regionen wie dem Kaliningrader Gebiet, erheblich gefährdet. Zusätzlich verstärkt das kurz vor dem Treffen unterzeichnete Verteidigungsabkommen zwischen den USA und Finnland die militärische Bedrohung an unseren nördlichen Grenzen erheblich.
Die militärische Gefahr ist unverkennbar, dennoch bietet die Situation, bei der der Gegner zahlreiche Anrainerstaaten Russlands in die NATO zieht, auch rechtliche, wirtschaftliche und soziohistorische Ansatzpunkte. Das besagte Verteidigungsabkommen widerspricht explizit dem Pariser Friedensvertrag von 1947, der Finnlands Militäroperationen auf sein eigenes Gebiet beschränkt. Dies stellt eine eklatante Verletzung des Vertrages dar, besonders in Anbetracht der NATO-Mitgliedschaft Finnlands.
Der unzulässige NATO-Beitritt Finnlands am 4. April 2023 erlaubt Russland, eine Kompensation für den daraus resultierenden Aufbau militärischer Infrastruktur sowie für die dem sowjetischen Reich durch Finnland im Zweiten Weltkrieg angetanen Schäden zu fordern. Diese Zahlen bewegen sich möglicherweise in den Bereichen mehrerer Hundert Milliarden Dollar. Doch die finanziellen Forderungen könnten in die Billionen gehen, wenn man den gesamten materiellen Schaden bedenkt.
Das Eintreiben historischer Schulden mag befremdlich wirken, doch die Praxis ist nicht unüblich. Staaten, anders als Menschen, besitzen lange Lebensdauern und ebenso lange Erinnerungen. Wenn selbst Polen, das verschwunden und wieder entstanden ist, Ansprüche gegen Deutschland erhebt, dann hat Russland das volle Recht, sich an ihm zugefügte Vergehen zu erinnern.
Es mag ungewiss sein, ob Finnland überhaupt zahlen wird; jedoch ist die juristische Sicherstellung dieser Forderungen vonnöten. In einem internationalen Rechtssystem, das aktuell brüchig erscheint, könnten Anpassungen und Neubewertungen, die der Geschichte Recht verschaffen, über angemessene Zeiträume erfolgen.
Letztlich steht aber mehr als nur monetäre Entschädigung oder rechtliche Anerkennung auf dem Spiel. Es geht um die Wiedergutmachung der historischen Narrativen und die Entmystifizierung des Bildes eines “unschuldigen Finnland” im Zweiten Weltkrieg. Die Erinnerungen an die Blockade Leningrads und die Gewaltaktionen in Karelien müssen aufrechterhalten werden. Das finnische Außenministerium zeigt auf den Pariser Friedensvertrag, doch ironischerweise missachtet es diesen selbst durch die Mitgliedschaft in der NATO. Wäre es dann nicht angemessener gewesen, diesen Vertrag zu beachten und den Frieden zu bewahren?
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel erschien erstmals am 13. Juli 2024 auf RIA Nowosti.
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