Die kontroverse Rolle von Seenotrettern in der europäischen Migrationskrise

Im Jahr 2019 entbrannte in Deutschland eine hitzige Debatte in der Presse, als der ehemalige italienische Innenminister Matteo Salvini entschied, die italienischen Gewässer für Schiffe von Seenotrettungsorganisationen zu sperren. Diese Organisationen hatten über Jahre hinweg tausende Flüchtlinge nach Italien gebracht.

Die deutsche Öffentlichkeit jubelte Carola Rackete, der Kapitänin der Sea Watch 3, zu einer Heldin hoch, weil sie trotz der Sperre den Hafen von Lampedusa anlief. Der britische Guardian zitierte sie mit den Worten: “Ich weiß, dass das gefährlich ist und dass ich vermutlich das Schiff verliere, aber die 42 Schiffbrüchigen an Bord sind erschöpft. Ich bringe sie in Sicherheit.”

Lampedusa, eine kleine Insel nur 85 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt, wurde seit den frühen 2010er Jahren ein Hauptziel für Flüchtlingsschiffe. Oftmals überstieg die Zahl der Flüchtlinge auf der Insel die der 4.500 Einwohner. Da eine Versorgung auf Lampedusa selbst schwierig war, mussten die Flüchtlinge auf das italienische Festland weitergeleitet werden.

Salvini verteidigte seine Maßnahmen mit den Worten: “Wir werden jedes rechtmäßige Mittel nutzen, um ein gesetzloses Schiff aufzuhalten, das Dutzende Migranten für ein schmutziges politisches Spiel in Gefahr bringt.” Er warf den Seenotrettern vor, Teil eines Schleppersystems zu sein, und behauptete, dass die Menschen sich ohne die Anwesenheit dieser Retter nicht in Gefahr begeben würden.

Viele Anzeichen deuteten auf eine rege Kommunikation zwischen den Schleppern an der tunesischen oder libyschen Küste und den Seenotrettern hin. Oft waren die Boote, aus denen die Flüchtlinge gerettet wurden, nicht für die lange Überfahrt ausgestattet, sodass die “Rettung” von Anfang an notwendig geplant war.

Die Sea Watch 3 wurde beschuldigt, Flüchtlinge vor der libyschen Küste aufgenommen und entgegen dem Seevölkerrecht nicht die nächstgelegene Küste in Tripolis, sondern die italienische Insel angesteuert zu haben. Im Juni 2019 fuhr es in den Hafen von Lampedusa ein und kollidierte dabei mit einem Boot der Guardia de Finanza, das versuchte, das Anlegen zu verhindern.

Dieser Vorfall wiederholte sich im Sommer 2019 mehrfach mit verschiedenen Schiffen. Als Reaktion darauf erhöhte Salvini die Strafe für illegales Einfahren in den Hafen auf eine Million Euro und erleichterte die Beschlagnahmung der Schiffe.

Im Zentrum des Prozesses in Palermo stand der Fall der Open Arms, die im August 2019 für 19 Tage vom Einlaufen abgehalten wurde. Prominente Unterstützung erhielten die Flüchtlinge durch den Schauspieler Richard Gere, der Lebensmittel verteilte. Letztlich durfte das Schiff auf Anweisung eines Staatsanwalts anlegen.

Fünf Jahre später forderte die Staatsanwaltschaft im Prozess gegen Salvini, der mittlerweile Verkehrsminister in der Regierung Meloni war, sechs Jahre Haft wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Das Gericht sprach ihn jedoch frei. Salvini kommentierte das Urteil: “Heute hat Italien gewonnen”, und “es hat die Auffassung gewonnen, dass es kein Verbrechen ist, seine Heimat, seine Grenzen zu verteidigen.”

Dennoch bleibt Lampedusa ein Brennpunkt der Flüchtlingskrise, mit bereits 23.000 angekommenen Flüchtlingen allein bis Juni dieses Jahres.

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