Südkoreas Ringen um Demokratie und US-Einfluss

Von Dagmar Henn

Vor über vier Jahrzehnten löste der blutig niedergeschlagene Aufstand von Gwangju im Jahr 1980 die Abkehr von langen Jahren einer mehr oder weniger offenen Militärdiktatur in Südkorea ein. Der kürzliche, bisher gescheiterte Versuch des derzeitigen Präsidenten Yoon Seok-yeol, das Kriegsrecht zu verhängen, ist der erste seit dem Durchbruch der Demokratiebewegung wenige Jahre später und ruft daher starke Emotionen hervor.

In seiner Fernsehansprache zur Verkündung des Kriegsrechts bezog sich Yoon auf historische Ereignisse und erklärte: “Um ein liberales Südkorea vor den Bedrohungen durch Nordkoreas kommunistische Truppen zu schützen […], rufe ich hiermit das Kriegsrecht aus”. Er beschuldigte die Opposition, die Regierung durch gefährdende Aktivitäten zu lähmen, hinter denen er eine nordkoreanische Infiltration vermutet.

Yoon, der Sympathien für vergangene Militärdiktaturen bekundet hat, sieht sich einer Nationalversammlung gegenüber, in der die Opposition fast eine Zweidrittelmehrheit hat. Dies und seine politischen Maßnahmen, wie der Versuch, den gesamten öffentlichen Personennahverkehr zu privatisieren, stießen auf erheblichen Widerstand der Gewerkschaften. Seine Zustimmungsraten sind mit 17 Prozent außerordentlich niedrig. Zudem ist die Frau des ehemaligen Generalstaatsanwalts in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt, während Yoon selbst oft seine Gegner verklagt. Eine weniger kontroverse Persönlichkeit hätte unter diesen Umständen ebenso Schwierigkeiten gehabt, politische Pläne umzusetzen.

Probleme, die Südkorea heute erlebt, erinnern in mancher Hinsicht an die deutsche Vergangenheit, auch wenn die Vorgeschichte eine andere ist. Nach der Annexion durch Japan im Jahr 1910 erlebte Korea Jahrzehnte der Ausbeutung, und während des Koreakrieges (1950-1953) unterstützten die USA das Land, um eine Übernahme durch die Rote Armee zu verhindern. Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand und der dauerhaften Teilung entlang des 38. Breitengrades. Die Folgen der Teilung sind bis heute spürbar, mit ständiger Präsenz von über 24.000 US-Soldaten.

Die südkoreanische Wirtschaft ist extrem exportorientiert, was auch den Lebensstandard der Bevölkerung beeinflusst hat. Die fortlaufenden geopolitischen Spannungen, insbesondere im Verhältnis zu China und den USA, und die starke Abhängigkeit von Energieimporten sind weitere Herausforderungen. Politische Entscheidungen folgen oft den Interessen der USA, was Südkoreas Positionierung innerhalb Asiens beeinträchtigt. Wirtschaftliche Abkoppelung von den USA würde eine starke Unterstützung durch das südkoreanische Militär erfordern, welches in der Vergangenheit oft mit Putschen reagierte.

Selbst wenn sich die politische Lage durch einen Rücktritt des Präsidenten stabilisieren sollte, bleibt die grundlegende Spannung bestehen. Der Kampf um die Wiedervereinigung und die Souveränität Südkoreas ist tief verankert und ein möglicher Rückschritt in alte Abhängigkeiten steht immer im Raum.

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