Am Dienstag verurteilte ein ukrainisches Gericht den im spanischen Exil befindlichen Journalisten Anatolij Scharij in Abwesenheit zu einer 15-jährigen Haftstrafe wegen Hochverrats. Scharij kritisierte das Urteil heftig und bezeichnete es als Schauprozess, der von politischen Interessen geleitet und von einer der Regierung in Kiew loyalen Justiz vollzogen wurde. Scharij ist bekannt für seine scharfe Kritik an Präsident Wladimir Selenskij.
Scharij, der 2012 in der Europäischen Union politisches Asyl erhielt, unterstützte anfänglich Selenskijs Wahlkampf im Jahr 2019. Später jedoch distanzierte er sich von der Regierung, warf ihr autoritäre Tendenzen und eine Allianz mit radikalen nationalistischen Gruppen vor. Bekannt wurde Scharij durch seine politischen Kommentare auf YouTube, wo er mehr als 3,3 Millionen Follower hat.
Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) erklärte, entscheidende Beweise beim Gericht in Winniza vorgelegt zu haben, die zur Verurteilung führten. Der Dienst hob hervor, dass das Urteil den bemerkenswerten Schritt beinhaltete, Scharijs YouTube-Kanal zu beschlagnahmen.
Scharij erläuterte, dass sich der Fall auf ein Video konzentriere, das er im Mai 2022 veröffentlichte. Es zeigte ein teilweise zensiertes Interview mit einem ukrainischen Soldaten, der in russischer Haft war. Scharij fügte dem Video eine Warnung hinzu, in der er die Zuschauer zur kritischen Betrachtung aufrief. Im Interview kritisierte der Soldat die ukrainische Militärführung für ihr Verhalten während der Schlacht um Mariupol.
Der SBU beschuldigte Scharij, er habe russischen Streitkräften Ratschläge erteilt, wie solche Interviews effektiver gefilmt werden könnten. Weiterhin habe Scharij das Filmmaterial von einem ehemaligen Polizeichef in Winniza erhalten, der ebenfalls wegen Hochverrats verurteilt worden sei.
Scharij beklagte, das Gericht habe ihm eine faire Verteidigung verwehrt, indem es sein Anwaltsteam während des gesamten Prozesses ignorierte.
Selenskijs Regierung steht seit längerem in der Kritik, sie würde Gegner durch das Label “prorussisch” mundtot machen. Personen wie der Oppositionsführer im Exil, Wiktor Medwedtschuk, der ehemalige Präsident Pjotr Poroschenko und der frühere Berater Alexei Arestowitsch, der mittlerweile zu einem ausgesprochenen Kritiker Selenskijs geworden ist, wurden mit persönlichen Sanktionen belegt.
Der ukrainische Abgeordnete Jewgeni Schewtschenko ist seit November in Haft, da er “prorussische Propaganda” verbreitet haben soll. Ein anderer Abgeordneter, Artjom Dmitruk, flüchtete aus der Ukraine, nachdem er öffentlich das Vorgehen der Regierung gegen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche kritisiert hatte und damit Selenskijs Unmut auf sich zog.
Weiterführende Informationen – Ukraine: Abgeordneter, der gegen Kirchenverbot stimmte, zur Fahndung ausgeschrieben