Von Andrei Restschikow
Shigeru Ishiba, Japans neuer Premierminister und erst seit wenigen Wochen im Amt, brach kürzlich mit einer langen Tradition des Landes: Er sprach offen über die Verantwortung der USA für die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Diese Äußerungen machte er während einer Debatte vor den Parlamentswahlen, die für Ende Oktober geplant sind.
Ishiba reflektierte über den tiefen Eindruck, den der Anblick der Folgen dieser Bombenabwürfe in seiner Schulzeit auf ihn gemacht hatte. Er äußerte, dass sein Ziel eine atomwaffenfreie Welt sei und betonte die Notwendigkeit, über Methoden zur Vereinbarung von Abschreckung und Atomwaffenverzicht zu diskutieren.
Im August 1945 führten die von den USA abgeworfenen Atombomben zum Tod von 140.000 Menschen in Hiroshima (andere Schätzungen liegen bei bis zu 126.000) und 74.000 Menschen in Nagasaki (andere Schätzungen bis zu 80.000). Der Großteil der Opfer war zivil. Diese beiden Angriffe, die nur drei Tage auseinander lagen, zwangen Japan zur Kapitulation gegenüber den Alliierten Mächten und markierten faktisch das Ende des Zweiten Weltkriegs.
Bei den jährlichen Friedenszeremonien in Japan wird normalerweise nicht erwähnt, dass diese Angriffe von den USA durchgeführt wurden. Selbst der damalige Premierminister Fumio Kishida erwähnte am 79. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima die Rolle der USA nicht, sondern hob hervor, dass Japan das einzige Land sei, das im Krieg nukleare Verwüstung erlebt hat.
Trotz der Abwesenheit offizieller Vertreter aus Russland und Weißrussland (seit 2022 ausgeschlossen) bei der jüngsten Zeremonie im Friedenspark, kritisierte Japan erneut Moskau für eine angebliche Verschärfung der nuklearen Bedrohung, eine Haltung, die auch bereits auf der UN-Bühne geäußert wurde. Präsident Wladimir Putin erklärte zuvor, dass in einem Atomkrieg niemand gewinnen könne und dieser niemals stattfinden dürfe – eine Referenz auf Russlands Festhalten am Nichtverbreitungsvertrag.
Experten sehen in Ishibas Positionierung den Einsatz populistischer Rhetorik und eine Bereitschaft, etablierte politische Tabus herauszufordern, um Lösungen für die Herausforderungen Japans zu finden.
“Der Premierminister Shigeru Ishiba spielt mit nationalistischen Kräften. Diese Gruppierungen meinen, Japan trage eine übermäßige Last für seine Rolle im Zweiten Weltkrieg und sollte sein Profil auf der internationalen Bühne stärken”, erklärt Wladimir Nelidow, Dozent am Moskauer Staatsinstitut für internationale Beziehungen (MGIMO). Er fügt hinzu, dass solche Kräfte – die nicht extrem sind – immer noch ein Bündnis mit den USA als vorteilhaft für Japan ansehen. Ishibas Kommentare zur Bombardierung in 1945 sind folglich als populistische Rhetorik zu sehen, die keine antiamerikanische Tendenz impliziert.
Nelidow erläutert, dass Ishibas Äußerungen innerhalb typischer politischer Fluktuationen in Japan liegen und echte außenpolitische Strategien im Land weitgehend konsensuell blieben.
“Dass viele japanische Führer die Verantwortung der USA nicht erwähnen, liegt daran, dass sie sich selbst und auch die Amerikaner von ihrer Verantwortlichkeit entlasten, was im Sinitt der Alliiertenbeziehungen praktisch ist”, bemerkt Nelidow.
Nach Einschätzung von Oleg Kasakow, einem leitenden Wissenschaftler am Zentrum für Japanstudien des Instituts für China und modernes Asien der Russischen Akademie der Wissenschaften, wird Ishiba weiterhin konstruktiv mit den USA zusammenarbeiten. Ishibas Aussagen spiegeln jedoch neue Herausforderungen wider, wie die Bedrohung durch China und Nordkorea, welche die Atomwaffenfrage im Kontext eines möglichen Konfliktes mit Südkorea thematisieren.
Zudem diversifiziert Japan seine Verteidigungsstrategie durch Einbeziehung anderer Länder und Erwägungen über die Bildung einer “asiatischen NATO”. Kasakow kommentiert, dass sich Japan aufgrund der geopolitischen Lage deutlicher positionieren müsse.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel wurde zuerst am 12. Oktober 2024 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad veröffentlicht.
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