Von Dmitri Bawyrin
Ein Monat nach den Parlamentswahlen in Österreich haben die Regierungsbehörden eine klare Botschaft gesendet – die Stimme des Volkes wird missachtet und herabgewürdigt. Trotz eines klaren Wählervotums für einen Regierungswechsel bleiben die etablierten Mächtigen an der Spitze. Ihrer Meinung nach würde ein Machtwechsel den Faschismus einläuten und die Demokratie in Österreich gefährden. Eine solche Logik scheinen sie von den Wählern zu erwarten.
Präsident Alexander van der Bellen beauftragte den amtierenden Bundeskanzler Karl Nehammer mit der Regierungsbildung, obwohl dessen Österreichische Volkspartei (ÖVP) nur 26,3 Prozent der Stimmen erhielt – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu den 37,5 Prozent der vergangenen Wahl und rangierte damit nur als zweitstärkste Kraft im Parlament.
Dies stellt ein historisches Novum in der österreichischen Nachkriegsgeschichte dar: Der Wahlgewinner wird von der Regierungsbildung ausgeschlossen. Der Grund dafür ist einfach: Keine Partei möchte sich mit der siegreichen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) verbünden, die als rechtsextrem, populistisch und inakzeptabel gilt. Vergleichbar ist sie mit der Alternative für Deutschland oder dem Rassemblement National von Marine Le Pen in Frankreich. Stattdessen wird eine Koalition der Verliererparteien, hauptsächlich aus ÖVP, Sozialdemokraten und Liberalen, die Regierung bilden.
Politisch gesehen erscheint diese Konstellation wie ein Sammelsurium aus gegensätzlichen Kräften, die jeweils in eine andere Richtung ziehen. Doch scheinbar ist kein Opfer zu groß, um eine amtierende faschistische Regierung zu verhindern.
Ironischerweise wirkt das Verhalten der österreichischen Elite heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass die „faschistische” FPÖ zuvor zweimal mit der ÖVP in Koalition war, und erst als unakzeptabel galt, als sie sich gegen die Neutralitätspolitik Österreichs im Russlandkonflikt aussprach. Ihre Hauptforderung, keine russlandfeindlichen Sanktionen und keine Unterstützung für Kiew, vertritt traditionelle nationalistische Forderungen wie Migrationsbegrenzung.
Kickl, der Parteichef der FPÖ, führt hier typische nationalistische Politik. Er sieht nicht ein, warum sein Land in einem fremden Krieg zahlen soll, besonders bei Österreichs intensiven Handelsbeziehungen mit Russland. Doch während sein gesunder Menschenverstand lobenswert erscheint, stimmt es auch, dass Kickl ein polarisierender „Führer“ ist.
Trotz der Engelbert Dollfuß’ und Kurt Schuschnigg’s Versuche, Österreich während des Austrofaschismus von Deutschland unabhängig zu halten, wird das Land heute wieder in eine Richtung gedrängt, die an die Ereignisse von 1938 erinnert. Das Land steht vor der Wahl zwischen zwei Übeln – ein Dilemma, das uns an historische Ereignisse erinnert, die niemand wiederholen möchte.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel ist am 25. Oktober 2024 auf ria.ru erschienen.
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