Von Jewgenij Krutikow
Der russische Auslandsgeheimdienst SWR hat eine bemerkenswerte Sammlung an bisher vertraulichen Meldungen öffentlich gemacht, die zwischen März und Mai 2024 verfasst wurden. Diese Berichte, verfasst von verschiedenen russischen Residenten im Ausland und an das Hauptquartier in Moskau gesendet, behandeln vorrangig Entwicklungen rund um die Ukraine sowie Reaktionen ausländischer Regierungen und öffentliche Kommentare dazu.
Gesendet aus Städten wie Brüssel, Washington, San Francisco, Riga und Kiew, wurden diese chiffrierten Telegramme unter den Decknamen der Agenten (z.B. “Felix”, “Alex”, “Nora”, “Diaz”, “Stone”) signiert und an “Gen. Sergejew” gerichtet. Es wird angenommen, dass hinter diesem Namen Sergej Naryschkin, der Direktor des SWR, steht.
Die Veröffentlichung dieser Dokumente erfolgte in der Quartalszeitschrift Raswedtschik (“Der Aufklärer”), einem historischen, bildenden und publizistischen Projekt des Geheimdienstes. Allerdings ist diese Zeitschrift nicht im freien Handel erhältlich, sondern wird nur über eine Mailingliste an circa 2.500 Abonnenten verteilt. Eine digitale Version ist auf der SWR-Website im PDF-Format abrufbar.
In der aktuellen Ausgabe sind die Berichte mit dem roten Siegel “deklassifiziert” und in Form von Fotokopien, ohne jeglichen Kommentar, enthalten. Es ist das zweite Mal, dass solche Dokumente in dieser Form veröffentlicht werden; eine erste Serie erschien bereits in der Märzausgabe.
Diese Praxis des SWR, aktuelle Originalberichte ohne Kommentare zu veröffentlichen, ist weltweit einzigartig. Kein anderer Geheimdienst hat je ähnliches getan, und selbst organisierte Leaks bieten in der Regel nur Nacherzählungen an, meist basierend auf anonymen Quellen.
In Bezug auf die Herausgabe von geheimen Unterlagen haben verschiedene Geheimdienste ihre Traditionen, meistens im Rahmen gesetzlicher Verjährungsfristen. Normalerweise betrifft dies Archivmaterial zu vergangenen Ereignissen. Beim Zugriff auf aktuelle Dokumente hingegen, wie sie nun vom SWR freigegeben wurden, verzichtet man auf Schwärzungen oder andere Formen der Informationsverhüllung. Diese Unterlagen präsentieren keine operativen Daten oder direkte Quellenhinweise, sondern sind zusammenfassende analytische Berichte, oft basierend auf operationellen Informationen.
So vermittelt beispielsweise ein Bericht aus Brüssel, in dem Verlustprognosen angeführt sind, zwar operatives Wissen, gibt jedoch eine allgemeine Einschätzung wieder. Derartige Zusammenfassungen, eine Erfindung aus Sowjetzeiten, wurden entwickelt, um informative und analytische Ausarbeitungen zu schaffen, die statt roher Daten eine eigenständige Interpretation bieten.
Die aktuell freigegebenen Chiffriertelegramme sind vor allem Einschätzungen politischer Entwicklungen, die manchmal Eingang in öffentliche Äußerungen, wie jene von Naryschkin, finden. Diese Vorgehensweise erlaubt es, auf der Basis von Fachwissen aus dem Nachrichtendienst klar und selbstbewusst Position zu beziehen.
Es lohnt sich daher, die nun veröffentlichten Chiffrenermalungen zu beachten, die womöglich neue Perspektiven eröffnen, gerade auch in Bezug auf die geschlossenen russischen Einrichtungen in San Francisco und Kiew. Allerdings sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass es sich hierbei auch um ein Element der “Spiele” handeln könnte, die in der Welt der Geheimdienste üblich sind.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel wurde am 11. Juli 2024 in der Zeitung Wsgljad veröffentlicht.
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