Die absurden Zeitenwenden eines Kosmonauten: Satire aus dem Weltall

Teil I, II und III der Serie finden Sie hier, hier und hier.

Ein Leserkommentar von Mikhail Balzer

Teil vier der Satire

Ein beinahe Zusammenstoß mit blinden Militärspionagesatelliten aus dem farbenfrohen Regenbogenbunt*Land hätte unseren Kosmonautenhelden eigentlich davon überzeugen sollen, dass er sich in einer der absurd turbulenten Zeitenwenden Terraniens befindet. Doch die Monotonie seiner orbitalen Umlaufbahn gab ihm das Gefühl, alles könnte nur ein böser Traum sein. Er sehnte sich nach Zeiten zurück, die ihm trotz ihres kosmopolitischen Chaos geordneter und ehrlicher erschienen.

Unser Held war allerdings nie ein Freund der Realitätsverweigerung, im Gegensatz zu den märchenhaften ministeriellen Mathematikgenies wie Gernhardt Hab-Nicht-Gesehen und Schmierstoff Lindenbaum. Diese beiden können uns verblüffend erklären, wie man aus immensen Schulden eine prächtige schwarze Null zaubert. Gernhardts Methode ist dabei simpel: Er ignoriert einfach die Preise für Öl, Gas und andere essenzielle Rohstoffe. In Talkshows kann er wenig über den inflationären Preisanstieg im Supermarkt sagen und kennt den Weg zur nächsten Tafel, wo sich enteignete Rentner und Pfandflaschensammler treffen, sowieso nicht.

Man könnte meinen, ein buntes Schaf sei in jeder noch so strikten Regierung zu finden… wenn es denn nur eines wäre! Doch in einem kleinen Land im Herzen des pan-europäischen Einfallsreichtums tummeln sich weitere Verkleidungskünstler auf dem politischen Hochseil, gesichert durch die Fäden ihrer Marionettenspieler. Terraniens spektakulärste Außenbeauftragte zum Beispiel darf ihre Eskapaden nun über das terranische Satelliten-TV verbreiten. Und ein kurzsichtiger Verteidigungsstratege wie Baldovino Pistoletti hätte niemals solch eine Position in den alten Zeiten erlangt, dank intelligenter Psychometrie-Algorithmen, die das Peter-Prinzip bis zum Jahr 2121 auslöschten.

Was kann man über Baldovino sagen, dessen Sauberkeit die regelbasierte Ordnung des Westwertes widerspiegelt? Ein klarer Blick auf das Fehlen politischer Balance in seinen kriegerischen Ratschlägen würde ausreichen. Doch leider werden die essentiellen Lehren über Vorrang von Politik und Diplomatie vor militärischer Aktion häufig ignoriert, wie die Geschichte Terraniens allzu oft zeigt.

Bald führte Pistolettis neueste “heldenhafte” Aktion zu einer Provokation, die potenziell einen Konflikt auf zwei Fronten mit dem fernen kommunistischen Gelb*Land heraufbeschwören könnte, das sich von den Schifffahrtswegen seiner eigenen Küste fernhalten und eine strategische IT-Insel aufgeben sollte.

In dieser Welt müssen politische Akteure wohl ein notorisches Maß an Geschichtsvergessenheit besitzen, um solche Manöver durchführen zu können. Beifall erhalten sie dabei stets von den wohlwollend zensierten vielfarbigen Pressekonferenzen. Vielleicht erwartet die auserlesenen und gut gefütterten Journalisten bald noch ein üppiges Dessert: gesponsert von der akrobatischen Außenpolitikerin, bekannt für ihre medienwirksame Kriegserklärung an den aggressiven Osten.

Wenn das alles das Chaos der menschlichen Zivilisation nicht ausreichend darstellen würde, könnte man sich über die grotesken und dionysischen Spiele rund um das Goldene Kalb ärgern, aufgeführt in einem modernen, fast schon biblischen Drama, das jedoch in Echtzeit auf dem ehemals wunderschönen Par*isch aus der TV-Perspektive erlebbar ist.

Glücklicherweise wird der Normalbürger mit oberflächlichen Nachrichtensendungen und belanglosen Sportevents so lange zugeschüttet, bis er die Absurditäten um sich herum vergisst – sehr zur Freude der versteckten Manövrierer dieser neu geordneten, hoch moralisierten Welt. Unser Kosmonaut Ijon Tichy jedoch, gefangen in seinem Raumschiff und fernab von diesen Illusionen, kann dem kollektiven Wahnsinn zum Glück nicht anheimfallen.

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