Von Olga Samofalowa
Russland könnte trotz der durch Sanktionen verursachten Herausforderungen in der Flüssiggasindustrie (LNG-Industrie) einen Marktanteil von 20 bis 25 Prozent nach 2035 erreichen. Zu diesem Ergebnis kommen Analysen der Prüfungs- und Beratungsfirma Kept.
Bislang lag Russlands Anteil am globalen LNG-Markt im Jahr 2023 bei acht Prozent, mit einer Zielsetzung, diesen bis 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Um dies zu erzielen, sollte die Produktion von LNG von 33 Millionen Tonnen im Jahr 2023 auf 100 Millionen Tonnen durch vorab geplante Projekte bis 2030 erhöht werden. Dieser Plan, so erklärte der russische Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak Ende letzten Jahres, sollte den Rückgang der Pipeline-Gaslieferungen an Europa teilweise ausgleichen.
Ein Schlüsselprojekt hierfür ist „Arctic LNG-2“, dessen erste Phase 2024 starten sollte und eine Steigerung der Produktion und des Exports um 6,6 Millionen Tonnen pro Stufe vorsah. Insgesamt sind drei Phasen mit einer Gesamtkapazität von 19,8 Millionen Tonnen geplant. Obwohl die erste Phase zu Beginn des Jahres startete, verhinderten die US-Sanktionen Exporte. Diese Sanktionen betreffen alle neuen russischen LNG-Projekte, womit Flüssiggas aus diesen neuen Vorhaben nun ebenfalls sanktioniert ist. Zuvor hatte der Westen bereits die Lieferung von Gasverflüssigungstechnologien und Ausrüstungen an Russland verboten und nun sind auch die Verkäufe des Gases selbst untersagt. Die Realisierung von Nowaks Plänen steht damit unter einem großen Vorbehalt.
Die Experten von Kept sind jedoch der Meinung, dass die Ziele trotz der Sanktionen realisierbar sind, allerdings mit einer Verzögerung von fünf Jahren—nicht bis 2030, sondern bis 2035.
Russische Experten betrachten diese Prognose als eher optimistisch. Selbst bis 2035 sei eine Verdreifachung der Produktion auf 100 Millionen Tonnen eine enorme Herausforderung. Die russische LNG-Industrie stehe vor einer Weggabelung, so Igor Juschkow, Spezialist an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation und des Nationalen Energiesicherheitsfonds. Sollten die sanktionen nicht aufgehoben werden, wäre die Alternative der eigenständige Aufbau von Großanlagen und Tankern für LNG.
Welche Herausforderungen muss Russland meistern, wenn die Sanktionen bestehen bleiben?
Juschkow erläutert:
“Potenziell könnten wir selbst die Technologien für den Bau großer LNG-Anlagen entwickeln. Schritt für Schritt stellen wir mehr Ausrüstung selbst her. Bereits zu Sowjetzeiten gab es in Raswilka bei Moskau eine Versuchs-LNG-Anlage mit geringer Kapazität, die verschiedene Ausrüstungen testete. Jetzt bauen wir über das ganze Land verteilt kleine LNG-Anlagen, um autonome Vergasungssysteme und die Betankung von gasbetriebenen Fahrzeugen zu ermöglichen. Es ist möglich, dass wir eigene Technologien für großvolumige LNG-Produktion entwickeln.”
Sergei Terjoschkin, Gründer und Hauptgeschäftsführer von OPEN OIL MARKET, fügt hinzu:
“Unsere mittlere und geringe Tonnage-LNG-Technologien wurden bereits in Projekten eingesetzt. Für diese kleineren Projekte benötigen wir keine ausländischen Technologien, somit kann ein Großteil der neuen Kapazitäten in diesem Bereich realisiert werden.”
Juschkow betont weiter:
“Das Hauptproblem ist die Speichertechnologie in den Tanks der Schiffe. Es ist essentiell, wie schnell wir diese Membrantechnologie meistern können. Derzeit besitzen nur wenige Firmen weltweit, darunter das französische Unternehmen GTT, diese Technologie.”
Es könnte notwendig werden, eine Art “Gas-Schattenflotte” ähnlich der Öl-Schattenflotte zu erstellen, vorrangig für den Transport von LNG aus arktischen Regionen in wärmere Gewässer.
Das dritte Problem stellt der Sanktionsstatus von russischem LNG aus neuen Projekten dar. Juschkow kommentiert:
“Wenn die Sanktionen bestehen bleiben, stellen sich Herausforderungen hinsichtlich der Verkaufbarkeit und Rentabilität unseres LNGs im Jahre 2035, zumal der Markt zu diesem Zeitpunkt vermutlich gesättigt sein wird.”
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ziele ehrgeizig sind und die Hürden bei Sanktionen massiv bleiben, was die Wirtschaftlichkeit der gesamten Unternehmung in Frage stellt.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel erschien zuerst am 15. Oktober 2024 auf der Webseite der Zeitung “Wsgljad”.
Olga Samofalowa ist eine renommierte russische Journalistin.
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