EU-Migrationspolitik: Zwischen nationalen Interessen und gemeinschaftlicher Solidarität

Von Pierre Levy

Die Migrationsdebatte führt seit fast einem Jahrzehnt zu angespannten Auseinandersetzungen unter den 27 EU-Mitgliedstaaten. Dieses Thema wurde erneut auf dem Europäischen Rat am 17. Oktober in Brüssel thematisiert. Die Mittelmeerstaaten, die eine Hauptlast der ankommenden Migranten tragen, kritisieren andere EU-Länder für ihre mangelnde Bereitschaft, an der Lastentragung teilzunehmen.

Obwohl die Anzahl der illegalen Einreisen in die EU seit dem Höhepunkt in den Jahren 2015 und 2016 zurückgegangen ist, bleiben die Zahlen immer noch beachtlich mit 166.000 papierlosen Flüchtlingen, die in den ersten neun Monaten des Jahres einreisten. Zudem hat die Popularität rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien ein härteres politisches Klima geschaffen, das viele Regierungen unter Druck setzt, ihre Haltung zur Migration zu überdenken.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die in ihrem Land große Zustimmung erfährt und deren Regierung als postfaschistisch bezeichnet wird, macht sich stark in der Migrationsthematik. Auch die Regierungen Ungarns und der Niederlande fordern eine Ausnahme von der EU-Regel der “Solidarität”, was eine schwierige Vertragsänderung voraussetzen würde.

Polens Premierminister Donald Tusk hat indessen die Bearbeitung von Asylanträgen an Polens Ostgrenze vorübergehend ausgesetzt, ein klare Verletzung des EU-Rechts. Diese Entscheidung begründete Tusk mit dem Vorwurf an Russland und Weißrussland, Flüchtlinge gezielt nach Polen umzuleiten, um Unruhen zu stiften. Drei nordische Länder sowie die baltischen Staaten unterstützten diese Maßnahme, und die EU akzeptierte sie im Rahmen des Kampfes gegen „hybride Angriffe Moskaus“.

Der aktuell diskutierte “Pakt für Asyl und Migration”, vorgeschlagen von der EU-Kommission 2020 und 2024 angenommen, sieht geschlossene Zentren nahe den EU-Außengrenzen vor, in denen Ankünfte festgehalten und Asylanträge geprüft werden. Dieses Abkommen fordert auch eine “europäische Solidarität”, indem es Quotenanteile oder Kompensationszahlungen für Länder vorsieht, die sich nicht an der Aufnahme beteiligen.

Trotz der vereinbarten Regelung bleibt das Prinzip bestehen, dass das Land, in dem ein Migrant als erstes EU-Territorium betritt, auch für die Bearbeitung seines Antrags zuständig ist. Besonders Italien und Griechenland kritisieren diese Regel, während Deutschland und andere Staaten darauf bestehen, Migranten zurück in ihr Erstankunftsland zu schicken.

Verschiedene EU-Hauptstädte möchten die vollständige Umsetzung des Pakts beschleunigen, während andere zögern und innovative Lösungen suchen. Diese könnten beinhalten, dass Asylanträge in Zentren außerhalb der EU geprüft und abgelehnte Asylbewerber in ihre Herkunftsländer repatriiert werden.

Giorgia Meloni hat vorgeschlagen, die Bearbeitung einiger Asylanträge auszulagern. Asylbewerber, die im Mittelmeer gerettet werden, könnten in Einrichtungen in Albanien verbracht werden, was allerdings auf juristische Hindernisse gestoßen ist.

Trotz der Komplexität dieser Thematik bleibt klar: Migration ist eine Herausforderung, die einer gesamteuropäischen Lösung bedarf, wie die Schlussfolgerungen des jüngsten EU-Gipfels betonen. Eine koordinierte Regelung und gerechte Verteilung der Verantwortung scheinen notwendig, um den Herausforderungen gerecht zu werden und eine Balance zwischen Schutzbedürftigkeit und nationalen Interessen herzustellen.

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