Regionale Mächte und ihre Rollen im syrischen Konfliktdrama

Von Rüdiger Rauls

In den jüngsten Entwicklungen hinsichtlich der Konfliktsituation in Syrien zeichnen sich insbesondere die Türkei und die Kämpfer der Nationalen Syrischen Armee (SNA) als Gewinner ab, die Gebietsgewinne zu Lasten der Kurden zu verzeichnen haben. Gleichzeitig konnte Israel die Situation nutzen, um die militärische Infrastruktur Syriens zu schwächen und zusätzliches Territorium in den Golanhöhen zu erobern.

Obwohl die Rebellen in Idlib durch den Fall Assads unvermittelt an die Macht kamen, spiegelt dies weniger ihre Stärke wider, als vielmehr den bereits brüchigen Zustand von Assads Regime. Die politische Kontrolle durch die HTS (Hayat Tahrir al-Scham) ist keineswegs gefestigt. Der neue Machthaber in Damaskus, Ahmad al-Sharaa, bekannt als Al-Dschaulani, steht vor der Herausforderung, seine vollmundigen Ankündigungen zur ausschließlichen Staatskontrolle über Waffen durchzusetzen.

Die unerwartete Einnahme von Damaskus zeigt die Überraschung und möglicherweise die Vulnerabilität der verbliebenen Syrischen Armee. Diese könnte sich gegen die neue Führung wenden. Al-Sharaa plant, alle unabhängigen Militärverbände zu integrieren, doch die Ernennung von Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, einem Organisator der HTS-Offensive, könnte neue Spannungen hervorrufen, nicht nur intern, sondern auch mit angrenzenden Staaten.

Auch wenn die HTS nominell die Kontrolle hat, ist ihre Position alles andere als stabil. Die Bevölkerungshaltung bleibt unklar, und die türkische Unterstützung, auf die Ahmad al-Sharaa angewiesen ist, könnte sich als zweischneidiges Schwert erweisen, insbesondere im Hinblick auf die Bedingungen dieser Hilfe.

Die geopolitische Lage bleibt fragil, besonders durch das Interessenkonflikt zwischen den durch die USA unterstützten kurdischen Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und der SNA, die von der Türkei Rückhalt erhält. Amerikas Dilemma besteht darin, die Balance zwischen den kurdischen Interessen und denen ihres NATO-Partners Türkei zu finden – eine Herausforderung, bei der grundlegende Gegensätze zum Tragen kommen.

Die USA sind zunehmend in der Zwickmühle: Einerseits sind sie auf die kurdischen Verbände angewiesen, andererseits können sie es sich nicht leisten, die Türkei zu verprellen. Die Situation wird zusätzlich dadurch kompliziert, dass die Kurdenfragen nun direkt mit Sicherheitsfragen verbunden sind, wie der Überwachung tausender IS-Kämpfer und deren Angehörigen in Gefängnissen und Lagern.

Die Befürchtungen um eine Wiedererstarkung des Islamischen Staats in der Unruhe nach Assads Sturz stellen eine direkte Bedrohung für die Stabilität der gesamten Region dar und zwingen alle Beteiligten, Neujustierungen ihrer Strategien zu überdenken. Dies trifft auch auf die Türkei zu, deren Präsident durch US-Außenminister Antony Blinken ermahnt wurde, verstärkt gegen den IS vorzugehen.

Türkei gegen USA

Während der politische Westen den Machtwechsel in Syrien zunächst begrüßte, entpuppen sich die daraus resultierenden Herausforderungen und Konflikte zwischen den beteiligten Mächten als zunehmend problematisch. In dieser komplexen und sich schnell ändernden Lage zeichnet sich ein andauernder Machtkampf ab, der die Zerbrechlichkeit der regionalen Ordnung weiter fördern könnte.

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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